Mit dem Beginn des Kinozeitalters waren auch die bewegten Bilder von Waffen aller Art da, bereits im Proto-Western „Der große Eisenbahnraub“ von 1903 hatte ein Revolver einen prominenten Auftritt und verhalf dem Film zu seiner berühmtesten Szene: Ein Bandit steht frontal zur Kamera, zielt mit seinem Revolver direkt in ihr Zentrum und feuert ab (und nimmt dabei gleich die gun barrel sequence aus den James-Bond-Filmen vorweg). Schüsse ins Publikum sind seitdem fester Bestandteil des Kinos und mittlerweile auch in 3D oder Zeitlupe gang und gäbe. Spätestens seit „Robin Hood – König der Diebe“ von 1991 ist aber auch die arrow cam als filmisches Gegenstück äußerst populär. Hierbei fliegt die Kamera mit Geschossen wie Pfeilen und Pistolenkugeln mit oder nimmt gleich vollständig deren Perspektive ein, bis der Flug beispielsweise im Kopf eines Orks oder Kindersoldaten endet. Die Beispiele sind zahllos („Der Herr der Ringe“, „Lord of War“, „Der Soldat James Ryan“…), unübertroffen bleibt aber der Sturzflug mit einem tonnenschweren Sprengkörper aus Michael Bays Materialschlacht „Pearl Harbor“; wie Münchhausen reitet die Kamera auf der japanischen Bombe, die auf ein US-amerikanisches Schlachtschiff zurast. Die Sequenz ist so sinnfrei wie der ganze Film, der nur Spektakel und Pathos stammelt, aber hier offenbart sich die ganze Blödheit auf so unübersehbare Weise, dass sie all die subtileren, aber ähnlich verkorksten Filme gleich mitverrät: Georg Seeßlen hat „Pearl Harbor“ treffend als „eine als Weltkrieg verkleidete Sexualneurose“ bezeichnet, problematisch wird ein Film wie „Pearl Harbor“ jedoch erst dadurch, dass er Männlichkeitswahn und Allmachtsfantasien nicht reflektiert und Gewalt ohne jede Irritation als cumshot zelebriert.
1967 kam Seijun Suzukis Yakuza-Film „Branded to Kill“ in die japanischen Kinos, eine B-Movie-Produktion, die bei Kritikern und Publikum gnadenlos durchfiel und Suzukis Karriere als Regisseur für 10 Jahre lahm legen sollte. Eigentlich als gewöhnlicher Genrefilm mit Anleihen an den Film noir und die James-Bond-Reihe (Bond rettete im selben Jahr mit Hilfe der Japaner die Welt vor den Chinesen) konzipiert, geriet der Film unter Suzukis spontaner Arbeitsweise und dank seiner Vorliebe für skurrile Ideen zu einem schwer klassifizierbaren Werk. „Branded to Kill“ übertreibt und pervertiert lustvoll Genrekonventionen und vermischt gängige Filmklischees mit abwegigen Einfällen. Ähnlich wie im ebenfalls 1967 uraufgeführten „Bonnie und Clyde“ oder den Filmen Hitchcocks dient der Krimi-Plot dabei als Vehikel für psychosexuelle Erzählungen; die Pistole ist offensichtlich ein Phallus und wird auch so in Szene gesetzt, sie ist Hauptdarstellerin in einer komplexen Geschichte über die Verknüpfung von Sexualität, Gewalt und Macht. Wo James Bonds – letztendlich kalter – Machismo mit leicht ironischer Brechung lediglich als cool und stylisch inszeniert wird, da entwirft Suzuki mit seiner Profikillerballade ein düsteres und ungemein vielschichtigeres Gegenbild. Selten wirkte eine Pistole so lächerlich winzig wie in den zitternden und schwitzigen Händen des Killers Hanada, die Schusswechsel sind hier kein anmutiges Ballett sondern Slapstick, der mit einem Loch im Kopf endet.
In „Branded to Kill“ treten all die Widersprüche und Obsessionen offen zutage, die in den typischen Genreproduktionen meist nur latent sind oder vollkommen ausgeblendet werden. Als ein Kommentar hierzu lässt sich die Sexszene sehen, in der der vom Duft von frisch gekochtem Reis aufgegeilte Hanada sich mit seiner Frau quer durch das Haus koitiert. Dabei wird nur das Bett ausgelassen, Bilder vom unberührten weißen Laken und vom Geschlechtsakt an anderen Orten des Hauses werden ineinander montiert und verweisen so auf Suzukis Abweichen von der Konvention und die Leerstelle, auf die es sich bezieht. Der Film folgt seinem perversen Protagonisten dabei so konsequent, ja zwanghaft auf seinen Abwegen, dass „Branded to Kill“ wie ein bizarrer Fiebertraum anmutet, der gar nicht anders kann, als in einer Tragödie zu enden. Wo Hitchcock Traum und Wirklichkeit recht sauber trennt und seinen (Anti-)Helden eine Auflösung gönnt, da verwischen bei Suzuki alle Grenzen und hinterlassen einen oft ratlos. Alles Heroische verschwindet, das Loch im Kopf bleibt.