Nach seinen ersten Aufführungen 1993 provozierte Bonengels Dokumentarfilm um den jungen Münchener Neonazi Eward Althans einen veritablen Skandal: Es hagelte Verisse von Spiegel bis Konkret, Ignatz Bubis, damals Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, forderte ein Verbot, die hessische Innenministerin Evelies Mayer gar die Rückzahlung des Förderungsgeldes und im Dezember selbigen Jahres erfolgte eine kurzzeitige Beschlagnahmung. Die Anklagepunkte waren relativ identisch: Zu wenig Distanz zur portraitierten Figur führe unter Umständen zur Identifikation und böte so Althans ein gern in Beschlag genommenes Forum zur Verbreitung seiner Ansichten und Glorifizierung seiner Person.
Bonengel verzichtet gänzlich auf einen belehrenden oder kontextualisierenden Kommentar, lässt von den Eltern bis Ernst Zündel alle wegweisenden Personen im Leben Althans’ zu Wort kommen und verschafft durch dieses Mittel überhaupt erst das, was ein Dokumentarfilm, der ein bisschen mehr möchte, als dem Rechtsextremismus gutwillig und voll überschäumender Entrüstung auf die Finger zu klopfen oder vielmehr: durch Dämonisierung seines Gegenstands in erster Linie die moralischen Prämissen der Macher in den Mittelpunkt zu rücken, dem Thema eine angemessene, wie abstoßende Sperrigkeit. Eine unmittelbare, regelrecht forcierte Reaktion auf das Gezeigte wäre wohl Reflexion. So viel sollte klar sein: Wer in Althans’ Reden, bspw. seine vor sichtlich beschämtem Publikum vorgetragene Leugnung der Shoah inmitten der Gaskammern von Auschwitz-Birkenau, einen verführerischen Kern ausgemacht zu haben glaubt, sollte vornehmlich seine Birne einer selbstkritischen Neubewertung unterziehen und anständig genug sein, dem nächsten Aufstand der Anständigen durch ein paar zackig deklamierte Reden aus dem Arsenal des Nazijargons einen anständigen Prüfstein feilzubieten.
Der ausbleibende Kommentar suggeriert keine insgeheime, wenn auch unfreiwillige Komplizenschaft, sondern er ermöglicht einen unzensierten und schon deshalb wesentlich wahrhaftigeren Einblick in das Schaffen eines auf höchstem Niveau organisierten Neonazikaders, als es das strukturell eingeschränkte Fernsehfeature, mit seinen politisch kritischen Nachfragen und didaktischem Wankelmut, je erreichen könnte. Mal ungeachtet dessen, dass kritische Stimmen in dem Film durchaus zu hören sind. Der besagten Rede inmitten Birkenaus folgt etwa die Auseinandersetzung mit einem ansässigen Besucher, dessen ausländische Herkunft ihn jedoch als den Archetyp des couragierten, aus der Geschichte geläutert hervorgegangenen Musterdeutschen, wie er so gerne imaginiert wird, schlicht disqualifiziert. Es ist es lohnenswert, diese Szene näher zu beleuchten, denn sie bietet einen aufschlussreichen Einblick in die Methode eines Althans. ‚You are rude‘ entgegnet er dem bemitleidenswerten Kontrahenten, als dieser sich anschickt, in Althans’ gewaltigen Wortschwall zu intervenieren und ihn des Ortes verwiesen sehen möchte. ‚Sie verbrennen andere Menschen, wenn sie nicht ihrer Meinung sind.‘ Ein plumpes, stets anzutreffendes Verfahren der Umkehrung, mit dessen Hilfe, durch den Rekurs auf universell geltende Prinzipien wie dem der Meinungsfreiheit, ein Schlupfloch gesucht wird, um der Analye zu entgehen und die krude Ideologie hoffähig zu machen. Durch Aufklärung antiaufklärerisch zu wirken, hat sich als eminent erfolgreiches Mittel in rechten Kreisen etabliert, und wie gezielt es zum Einsatz kommt, zeigt der Film in zahlreichen Sequenzen mit gnadenloser Schärfe.
Im Anschluss an das Gespräch sehen wir Althans einige Minuten vor dem Eingang wartend. ‚So viele Tiere hier.‘ Lautes Fliegensummen. ‚Ekelig … sollte man alle vergasen.‘ Sarkastisches Grinsen. ‚Diese Läuse … Flugläuse … müssten ausgerottet werden.‘ Und Abtritt (an wen das gerichtet war, ist angesichts des vorausgegangenen Streitgesprächs nicht schwer zu erschließen). Diese Szene fasst mustergültig das gesamte Prinzip der Auschwitzleugnung zusammen: Das Wissen von der Vergasung wird nicht trotzig negiert, sondern bloß zeitweise suspendiert. Es ist positiv konnotiert und seine Leugnung fungiert lediglich als Chiffre, mit deren Hilfe sich unverblümt sagen lässt, dass man diesen Vorgang wiederholt wissen will. Solcherart Kampfansagen finden sich zuhauf in dem Film und sie sind deshalb so unverfälscht zu sehen, weil Bonengel es gewagt hat, seinen Gegenstand ernst zu nehmen. Auf diesem Wege ist ihm ein Einblick in die faschistische Szene gelungen, den ansonsten bloß noch verdeckte Ermittler haben dürften. Schon deshalb, und weil die wenigsten von uns in Bereichen dieser Berufssparte tätig sein dürften, ist „Beruf: Neonazi‘ ein nicht genug zu lobendes Zeitdokument. Was die zensorischen Anfechtungen betrifft, so offenbaren sich hier die ganze Ohnmacht und Verdrängungsarbeit, die die Fragen nach dem Umgang und der Erklärung des einstigen Nationalsozialismus und heutigen Rechtsextremismus seit je her begleiten.
So beschämend, wie die Besucher im KZ auf einen wie Althans reagieren, nämlich beschämt, schweigend und ausweichend, so hilflos, wie dessen Eltern mit simplen, in der Kindheit ansetzenden Psychologisierungsversuchen (‚Er hat ja schon immer nach Aufmerksamkeit gesucht‘) ihren zutiefst liberalen Habitus unterstreichen, so unscheinbar, wie er sich in seiner modischen, ganz und gar nicht als Nazioutfit zu identifizierenden Popperkluft durch die Mitte der Gesellschaft bewegt, so beschämend, hilflos und unscheinbar konstruiert diese zur höchsten Verdrängungsleistung fähige Gesellschaft den Diskurs um mögliche Prävention und Vergangenheitsbearbeitung, nämlich Leugnen bis der Arzt kommt. Und wenn man heute hören muss, dass auch blonde und blauäugige Deutsche in gewissen Milieus mit Fressepolieren zu rechnen haben und rassistische Gewalttaten gar keine sein können, weil den Tätern eine etwaige Mitgliedschaft zu irgendeiner noch so unbedeutenden Aktivistenorganisation nur schwer nachzuweisen ist, dann bekommt auch der letzte Zweifler auf dem Tablett geliefert, dass vom großen Tisch der Entschuldigungsstrategien immer noch die größten Brocken weitergereicht werden.