Before Midnight

(USA 2013; Regie: Richard Linklater)

Tickende Zeitbombe

Man spürt, dass der 41-jährige Jesse (Ethan Hawke) ein Defizit gegenüber seinem 13-jährigen Sohn Hank empfindet. Weil der Sohn aus erster Ehe bei seiner Mutter in Chicago lebt, sein Vater mit der neuen Familie aber in Paris, sehen sie sich nur selten. Diese quälend verinnerlichte Distanz spricht förmlich aus Jesses etwas unbeholfenen Worten und Gesten. Wenn sich der jugendlich gebende Schriftsteller eingangs von Richard Linklaters Film „Before Midnight“ an einem Flughafen in Griechenland von seinem schweigsamen Sohn verabschiedet, gibt er sich betont kumpelhaft. Irgendwie läuft sein Imponiergehabe aber ins Leere; und in den Blicken, mit denen er die Abreise seines Sohnes begleitet, liegt eine verlorene Sehnsucht, in die sich Wehmut und Trauer mischen.

Es ist der letzte Tag der Sommerferien, die Jesse zusammen mit seiner Lebensgefährtin Celine (Julie Delpy), einer französischen Umweltaktivistin, und ihren gemeinsamen Zwillingstöchtern in Messinien, dem südwestlichen Zipfel der Peloponnes, verbringt. Auf der langen Rückfahrt ins Feriendomizil ihres Gastgebers, die Linklater in einer einzigen, minutenlangen Einstellung aufnimmt, lernen wir ein Paar kennen, dessen Partner so ironisch und neckisch miteinander flirten, als wären sie frisch verliebt. Tatsächlich handelt es sich um den abgeklärten, leicht illusionslosen Diskurs zweier Liebender, die seit Längerem miteinander vertraut sind und deren Kinder im Fond des Wagens schlafen. Der informierte Kinogänger kennt Jesse und Celine aus Linklaters Filmen „Before Sunrise“ (1995) und „Before Sunset“ (2004), in denen von ihrer ersten Begegnung und dem Beginn ihrer Beziehung erzählt wird.

Jetzt, auf der gemeinsamen Fahrt, gibt es einen Moment, in dem Celine ihre Liebesgeschichte halb unernst als „tickende Zeitbombe“ bezeichnet. Auslöser ist Jesses Verlangen, die schmerzlich empfundene Distanz zu seinem Sohn durch einen Umzug in die USA zu überbrücken. Celine sieht sich einmal mehr in der typisch weiblichen Opferrolle, zumal sie gerade ein attraktives Jobangebot bekommen hat. Vor allem im Schlussteil des Films, einer Nacht ungewohnter Zweisamkeit im Hotelzimmer, bricht dieser Konflikt mit Vehemenz aus und kulminiert schließlich in den kleinteiligen Wortklaubereien und gegenseitigem Unverständnis eines Beziehungskrieges.

Ansichten über biologische und emotionale Geschlechterdifferenz, über den Beginn und das Ende der Liebe, über die Liebe zum Leben und die Erfahrung von Vergänglichkeit grundieren die vielen, ausführlichen Gespräche und Unterhaltungen in „Before Midnight“. Ungewöhnlich offen und schlagfertig sind die Dialoge, die hier bewusst das Konzept einer minimalistischen Handlung bei gleichzeitiger Verdichtung von Raum und Zeit sowohl transportieren als auch dominieren. Obwohl das filmisch mitunter etwas einsilbig, unspektakulär und schematisch wirkt, gelingen dem Regisseur doch auch viele heitere und nachdenkliche Momente. Die Spannung kommt gewissermaßen aus den Worten und Blicken der Protagonisten und steckt zugleich in den vielen kleinen Details, die Richard Linklater für Referenzen, Reminiszenzen und Widerspiegelungen nutzt.

Benotung des Films :

Wolfgang Nierlin
Before Midnight
(Before Midnight)
USA 2013 - 108 min.
Regie: Richard Linklater - Produktion: Christos V. Konstantakopoulos, Richard Linklater, Sara Woodhatch - Bildgestaltung: Christos Voudouris - Montage: Sandra Adair - Musik: Graham Reynolds - Verleih: Prokino - FSK: ab 6 Jahren - Besetzung: Hawke, Julie Delpy, Seamus Davey-Fitzpatrick, Ariane Labed, Athina Rachel Tsangari, Xenia Kalogeropoulou, Walter Lassally, Yannis Papadopoulos, Jennifer Prior, Charlotte Prior, Yota Argyropoulou, Panos Koronis, Manolis Goussias, Enrico Focardi, Serafeim Radis
Kinostart (D): 06.06.2013

DVD-Starttermin (D): 30.10.2013

IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt2209418/