Grüne Wiesen und rosarote Blumen, die sich sanft im Wind wiegen. Rehe im Wald, auf der Suche nach Futter. Das rauschende Meer, das bei Sonnenuntergang gegen die Küste brandet. Ein Mann, der auf einem Sterbebett liegend diese Bilder mit Tränen in den Augen auf einer großen Leinwand vor sich betrachtet und sanft zu den Klängen von Edvard Griegs „Peer Gynt“ entschläft.
In dieser Szene, die gegen Ende des Filmes „Soylent Green“, einem amerikanischen Science-Fiction-Film aus den 1970er Jahren, zu sehen ist, dringt die Hauptfigur Robert Thorn (gespielt von Charlton Heston) in eine Sterbehilfeeinrichtung ein, in die sich Thorns Freund und Vaterfigur Sol selbst eingewiesen hat, nachdem dieser das Geheimnis des titelgebenden Nahrungsmittels entdeckt hat. Doch Thorn kommt zu spät. Sol liegt bereits auf dem Sterbebett vor besagter Kinoleinwand und Thorn kann seinem alten Freund in diesen letzten Momenten nur noch beistehen, als auf der Leinwand die Naturaufnahmen erscheinen. Weinend schauen beide auf eine Welt, die nur noch im Dokument existiert und es ist ein rührender Moment, der in den Kitsch sackt, auch weil Charlton Heston eher ein Mann der Taten und weniger der Tränen ist.
Ähnliche Naturbilder wie die soeben beschriebenen können derzeit in großer Zahl auch im Kino bewundert werden. Die Naturdokumentationsschwemme der letzten Jahre hat an ihren Höhepunkten („¡Vivan las antipodas!“) eine poetische Kraft entfaltet, die das Verbindende im Gegensätzlichen und das Erhabene im Detail suchte. Manchmal kam ein ambitioniertes und mitunter pathetisches Mahnen an die Zerstörung unseres Planeten in kristallklaren Full-HD-Bildern („Home“) dabei heraus. Schlimmstenfalls gab es imposantes, aber für maximale Kinoausbeute stümperhaft zusammen montiertes Material aus bereits vorhandenen TV-Serien zu sehen („Unsere Erde“). Den Tiefpunkt dieses Phänomens markieren allerdings Filme („Deutschland von oben“), deren Bilder in ihrer beruhigenden und verklärenden Wirkung denen aus der beschriebenen Szene zu „Soylent Green“ in nichts nachstehen.
Eine nahe liegende Vermutung hinsichtlich der schieren Masse an cineastischem Nature and Wildlife ist natürlich: Je größer die Krise, desto größer der Bedarf an Zerstreuung. Und weil wir uns neben der monetären Krise neueren Datums seit Langem in einer ökologischen Krise befinden und die Zuschauerzahlen bei all diesen Filmen (für die Gattung des Dokumentarfilmes) astronomische Marken erreicht, wird mit einer immer einfacheren Formel munter weiter produziert. Plötzlich erstaunt die Fülle an kitschigen Naturbildern, die derzeit die Kinos sicher machen, kaum noch.
„Bavaria“, der neue Film von Joseph Vilsmaier, reiht sich in seiner Banalität und Einfältigkeit gut in diese Reihe ein. 50 Stunden lang hat Vilsmaier sich mit dem Hubschrauber im Daueranflug auf das so unsagbar schöne Bayern begeben, dass es an dieser Stelle einfach noch mal betont sei: Bayern ist traumhaft schön. Ansonsten gibt es nicht viel über diesen außerordentlich berechnenden Film zu sagen. Die Kamera gleitet, die Musik begleitet, der Schnitt rasselt die Sehenswürdigkeiten in bester Reiseprospektmanier aneinander, der Kommentar verdoppelt das Bild oder lässt historisch Brisantes elegant unter den Tisch fallen und irgendwann ist’s halt vorbei.
Die Schönheit eines Landes in einem Dokumentarfilm zu zeigen ist nichts Verwerfliches. Die Bilder in „Bavaria“ zehren jedoch nicht einmal mehr vom altmodischen Anspruch, Schönheit als Übereinstimmung von Mensch, Welt und Schöpfung zu begreifen. Im Unterschied zu „¡Vivan las Antipodas!“ existiert in „Bavaria“ kein Zusammenhang mehr zwischen der Darstellung von Schönheit und dem Anspruch auf eine irgendwie geartete Wahrheit. Vilsmaier geht es mit seinem Film ausschließlich um die triviale Abbildung des Schönen; um die Verheißung eines Glückes, das im Angesicht der Krisen um uns herum immer seltener erreichbar scheint. Damit wird der Film aus der Kunst heraus tief hinein in den Kitsch gerückt. Und hier liegt auch der Unterschied zu dem eingangs erwähnten „Soylent Green“, denn die Bilder andächtiger Ergriffenheit aus der Sterbebettszene erfahren am Ende des Filmes ihre fast zynische Brechung, wenn ebendiese Aufnahmen über den Abspann gelegt werden. Diesmal ist der Zuschauer allein der Adressat der Bilder und wird damit in die Position des sterbenden Mannes gesetzt.
Das Erstaunlichste an „Bavaria“ und seinen aktuellen Von-oben-Vorbildern ist demnach, dass die bisher dem Fernsehen eigene einschläfernde Dauerberieselung nun (dank der Macht der Sendeanstalten) auch im Kinodokumentarfilm eine Heimat findet. „Bavaria“ ist nichts weiter als Sedativfernsehen, das mit seiner Wirkung und der angesprochenen Zielgruppe gut zwischen das Traumschiff und die seichten Talks des ZDF-Adoptiv-Schwiegersöhnchens Markus Lanz passt und zum Zwecke des Profits für die große Leinwand fit gemacht wurde.
Übertroffen wird dies nur noch von den abstrusen Vermarktungsstrategien für den Film. Eine Sendung mit dem Titel „Talk in the City“, moderiert vom Generalsekretär der CSU, Alexander Dobrindt, fällt hierbei besonders ins Auge. Mit typisch bayrischem Selbstverständnis philosophieren Dobrindt, Vilsmaier und sein Pilot Hans Ostler eine Stunde lang über die technischen Herausforderungen des Filmes, witzeln über die im Film kaum zu sehenden Bauern und beschwören einmal mehr die Schönheit Bayerns. Kumpelhaft und hochgradig entzückt klopft der Moderator am Ende der Sendung dem Regisseur aufs Knie und bietet, schwanger vor Ergriffenheit, seine Hilfe an: „Wenn’s Probleme mit der Filmförderung gibt, dann bitte melden. Solche Filme müssen weiterhin in Bayern entstehen und gefördert werden.“ Ja genau, solche Durchhaltefilme brauchen wir.
Bevor nun aber die unsagbar teure Kameratechnik für weitere Naturdokumentationen dieser Art spazieren geflogen wird (ich freue mich schon auf „Sachsen von oben“ oder „das Ruhrgebiet von oben“), lieber noch ein paar eindrucksvolle Bilder zum Abschluss: Grüne Wiesen und rosarote Blumen, die sich sanft im Wind wiegen. Rehe im Wald, auf der Suche nach Futter. Das rauschende Meer, das bei Sonnenuntergang gegen die Küste brandet.