Ein ruhiger Blick in die weite Gebirgslandschaft der südöstlichen Türkei eröffnet Orhan Eskiköys Film „Die Stimme meines Vaters“ (Babamin Sesi). Dass dieses Bild auch einen bestimmten Ort und seine tragische Geschichte meint, vermittelt sich erst allmählich im sparsamen, aber stetigen Informationsfluss der undramatisch inszenierten Erzählung. Wenn an deren Ende diese Perspektive nach einem 360 Grad-Schwenk der Kamera unter anderen Vorzeichen wiederkehrt, wirkt diese doppelte Rahmung wie ein Schlusspunkt und ein Neubeginn; oder wie die Bekräftigung einer schmerzlichen Identität.
Eine alte, einsame Frau in einem alten Haus lauscht einer Tonbandstimme, die aus der Vergangenheit kommt. Verputz rieselt von den Wänden, während Mustafa von seiner Arbeit im fernen Ausland und von seiner Sehnsucht nach der Familie in der Heimat spricht. Der Austausch der Tonbänder ersetzt den schriftlichen Briefverkehr und konstituiert zugleich ein Archiv der Erinnerung. Immer wieder sind diese Stimmen, die als akustische Rückblende fungieren, vernehmlich, während die Kamera die Räume und Bilder der Abwesenden abtastet.
Die alte Basê steht im Zentrum dieser zerrissenen Familie alewitischer Kurden, die unter Ausgrenzung, Diskriminierung und Verfolgung leidet. Der ältere Sohn Hasan hat sich einer Widerstandsgruppe angeschlossen, während sein Bruder Mehmet (Zeynel Dogan) zusammen mit seiner Frau Gülizar in Diyarbakir lebt. Weil er sich Sorgen um seine Mutter macht und mehr über seine Familiengeschichte erfahren will, fährt er zu einem Besuch in die Heimat. Doch Basê zeigt sich zunächst wenig kooperativ, fast abweisend: In die Stadt will sie nicht ziehen und über ihre Erinnerungen will sie nicht sprechen.
„Ist es denn so schlimm, die eigene Vergangenheit zu kennen?“ fragt einmal Mehmet, der sich der Verdrängung widersetzt. In poetischen Bildern und subtilen Andeutungen entwickelt Orhan Eskiköy die komplexen Themen seines Films, in dem sich die Mitglieder der Familie Dogan selbst spielen. Immer wieder öffnet sich der Blick, gibt es gleitende Übergänge zwischen Heimat und Fremde, Erinnern und Vergessen. Dabei vermittelt sich auch der Reichtum von Kultur und Sprache. Für Hasan sammelt Basê seltene kurdische Wörter. Deren semantische Erläuterung wird selbst zu einer Geschichte über Verlust und Sehnsucht.