Als der junge Mark Reeder 1979 nach West-Berlin kommt, ist er überrascht vom „kaputten“ Zustand der Stadt, in der es noch Kriegsruinen gibt und die Fassaden bröckeln. „Überall konnte man die Geschichte spüren“, sagt der musikbegeisterte Engländer aus Manchester, der seine sich im Niedergang befindende Heimatstadt flieht, weil sie „hässlich“ und „dreckig“ ist und nur „finstere Aussichten“ bietet; und in der sich zunehmend vehementer der Punkrock als „Musik gegen das Elend“ artikuliert. Zwar spielt auch Reeder in einer nur mäßig erfolgreichen Band namens The Frantic Elevators und arbeitet in einem angesagten Plattenladen, doch insgeheim schlägt das Herz des Uniformfetischisten für die deutschen Elektronikpioniere Tangerine Dream, Ash Ra Tempel, Neu! und Kraftwerk. Seine Entscheidung, als Agent des Labels Factory Records nach West-Berlin zu fahren, hat also noch einen zweiten Grund, der bei seiner Ankunft allerdings enttäuscht wird.
Was der ebenso neugierige wie offene Mark Reeder stattdessen findet und entdeckt, erzählt er in dem Dokumentarfilm „B-Movie: Lust & Sound in West-Berlin 1979 – 1989“ von Jörg A. Hoppe, Klaus Maeck und Heiko Lange. Als Chronist und Zeitzeuge führt uns Reeder durch die Berliner Subkultur jener wilden Jahre, eines Jahrzehnts der lustvollen Exzesse und avantgardistischer Experimentierfreude. Das jedenfalls vermittelt die unglaubliche Fülle äußerst spannender filmischer Dokumente, deren dynamische Montage nicht nur den Hedonismus und die Zerstörungswut einer ziemlich ausgeflippten Szene lebendig macht, sondern auch den Blick in ein fast schon fernes, jedenfalls kurioses und phantastisches „Punk-Biotop“ erlaubt. Der unschätzbare kultur- und musikgeschichtliche Wert dieser Kompilation wird dabei flankiert von Reeders radikal subjektiver Insider-Perspektive, seiner ansteckenden Begeisterungsfähigkeit und einem nicht minder einnehmendem Humor, der ausgewogen zwischen Beobachtung und Teilnahme vermittelt.
Mark Reeder taucht ein in die bunte Hausbesetzer-Szene Kreuzbergs, die sich aus kreativen Punks, alternativen Künstlern und westdeutschen Wehrdienstverweigerern zusammensetzt. Er wird Zeuge wüster Straßenkämpfe (bei denen 1981 der junge Hausbesetzer Klaus-Jürgen Rattay stirbt), bizarrer Kunstaktionen (u. a. von Keith Haring und Martin Kippenberger) und des absurden Prozesses um den „Wahren Heino“. Vor allem aber driftet er durch das schillernde Nachtleben einer den Augenblick auskostenden Bohème, die nie schläft und die als eine einzige große Bande von Verschworenen erscheint. Die angesagtesten Clubs und Kneipen heißen SO36, Risiko, Dschungel und Fabrik. Hier lernt Reeder unter vielen anderen etwa Blixa Bargeld, Christiane F. und Gudrun Gut kennen, für deren Bands Mania D und Malaria! er als Manager zum „Männlein für alles“ wird. Für Joy Division organisiert er im Januar 1980 ein Konzert im legendären Kant-Kino, Nick Cave ist eine Zeitlang sein Mitbewohner und in den Splatterfilmen von Jörg Buttgereit tritt er als Darsteller auf.
Als Teilnehmer, Vermittler und Organisator wird Mark Reeder so zum Szenekenner und „Fremdenführer“ inmitten einer ebenso kreativen wie schrägen Undergroundkultur. Deren hervorstechendstes Merkmal sowie Bedingung ist das Inseldasein West-Berlins, dessen inhärente Freiheit auf paradoxe Weise durch die Begrenzungen der Mauer, ihren Rahmen, garantiert wird. „Alles war geil“, sagt Reeder einmal über die besonders intensive Atmosphäre, die aus dieser als klaustrophobisch und surreal empfundenen geopolitischen Situation resultiert. Als die Szene schließlich zwischen Overkill und Ernüchterung implodiert und die Mauern des Kalten Krieges fallen, tritt mit der von WestBam und anderen angeführten Vorhut der Techno-Bewegung eine neue Generation auf den Plan, die mit dem von Dr. Motte ausgerufenen Motto der ersten Loveparade (mit 150 Teilnehmern) nicht mehr gegen, sondern für etwas demonstriert, nämlich für „Friede, Freude, Eierkuchen“.