Auf der inhaltlichen Ebene wissen wir von diesem Film nur, was uns seine Hauptfigur wissen lässt. Konsequent konzentriert sich Asli Özge in ihrem scharf beobachteten, gesellschaftskritischen Psychothriller „Auf einmal“ auf das Erleben ihres Helden Karsten Böhm (Sebastian Hülk). Nach einer Party und dem Tod einer jungen Frau gerät der aus gutsituierter Kleinstadtfamilie stammende Banker ins Zwielicht und unter Verdacht. Weil er nicht rechtzeitig den Notruf gewählt hat, wird wegen unterlassener Hilfeleistung gegen ihn ermittelt. Zu Selbstvorwürfen und unterschwelligen Schuldgefühlen kommt also noch eine öffentliche Anklage hinzu, was durch die Enge der von Bergen eingekesselten Stadt Altena verstärkt wird. Selbst Karstens Freundeskreis reagiert mit Misstrauen und zunehmender Distanz. Seine Freundin Laura (Julia Jentsch) verlässt ihn; von seinem Arbeitgeber wird er versetzt. Während der äußere Druck steigt, gerät Karsten in eine gesellschaftliche Isolation.
„Denn an sich ist nichts weder gut noch böse, das Denken macht es erst dazu“, zitiert Asli Özge zu Beginn aus Shakespeares „Hamlet“. Ungeklärte Details, ein Anflug von Schwäche sowie Karstens „irrationales“ Handeln in der Unglücksnacht lassen die bösen Gedanken wachsen. Lügen und Geheimnisse treten zutage, aber auch die jeweiligen Eigeninteressen der Beteiligten. Mit Machtspielen versuchen diese, dem Konformitätsdruck standzuhalten und ihr Image zu wahren. Im kleinstädtischen Milieu werden dabei vor allem kulturelle und soziale Trennlinien sichtbar. Denn das Opfer stammt aus einer Familie von Russlanddeutschen.
Als seine Pflicht erfüllendes Mitglied des Systems, das noch in seinem persönlichen Rachefeldzug darauf bedacht ist, den Status quo wiederherzustellen, sagt Karsten einmal wutentbrannt zu seinen Eltern: „Das Schlimmste ist es, einer von euch zu sein.“ Bei einem kurzen Ausbruchsversuch in die Natur sieht man den Protagonisten hoch oben auf einem Berg, aus der Untersicht gerahmt von Gipfelkreuz und Deutschlandflagge. Mit einer ausgefeilten Bildsprache und einem unterkühlten Erzählduktus zeichnet Asli Özge in ihrem spannenden, mit vielen blinden Flecken versehenen Film eine widersprüchliche Figur, die sich einer einseitigen Identifikation entzieht. Und die unter dem Druck der Gesellschaft vom Opfer zum Täter wird, als sei dies ein Naturgesetz. Rammsteins brachialer, den Bandnamen zitierender Abspannsong wirkt diesbezüglich wie ein radikaler Schlussstrich unter Özges düstere, in Herbstfarben getauchte Gesellschaftsvision.