Wo Stars und Prunk produziert werden, fällt der Wahnsinn schnell als Nebenprodukt ab. Kenneth Anger blickt in „Hollywood Babylon“ so lange durch den Glamour der Suberzählungen hinter den Kameras, bis die klassische Ära der Studiofilme nur noch Intrigen, Drogensucht, Mordversuche, Vergewaltigung und Tod abwirft. Peter Biskind füllt in „Easy Riders, Raging Bulls“ fast 800 Seiten, um mit dem Geniekult, dem die Regisseure wie Produzenten des New Hollywood erlegen waren, abzurechnen und weiß irgendwann selbst nicht mehr, ob er nun Guerillakämpfer oder ein stilistisch talentierteres Boulevardgroßmaul sein will. Hollywood produziert systemisch und industriell Geschichten. Vielleicht braucht es deren systematische Entzauberung, um ihre durch Millionenbeträge garantierte Präsenz in der Alltagskultur zu demontieren; vielleicht will man sich beruhigt an der Sehnsucht delektieren, dass Geschichtenerzähler, die für ihre Arbeit solch astronomische Summen erhalten und verpulvern, nichts anderes als verrückt werden müssen; vielleicht ist die Entzauberung selbst aber auch nur Bestandteil einer fortlaufenden, niemals abgeschlossenen Erzählung, die ihrerseits nötig ist, um die primären Werke in den Stand eines zweiten, viel gewaltigeren Mythos zu versetzen. Denn so kaputt und deviant man seit über einem Jahrhundert hinter dem Equipment auch delirieren mochte, es kamen dennoch in der Zeit einige betörende Filme zustande. Es ist also vielleicht Aufgabe dieser Erzählung hinter der Erzählung, die Devianz zur Muse zu verklären.
„Apocalypse Now“, bei dessen Uraufführung einer Rumpffassung 1979 in Cannes Francis Ford Coppola ungestüm posaunte, der Film handele nicht von, sondern sei Vietnam, ist ein Prototyp des katastrophischen Glücksfalls. Dieser Entwicklungsroman des Irrsinns hat Filmgeschichte geschrieben und ist so sehr Parabel und Allegorie, freudianische Metapher und politisches Statement, Dokument und Dokumentation, surrealistischer Fiebertraum und absurdes Theater, dass über ihn die Erzählungen geradewegs zusammenbrechen. „Apocalypse Now“ ist zweierlei: Die vielleicht mustergültige (Nicht-)Reflektion des Krieges, weil der Film ihm nichts, aber auch gar nichts an Sinn zuschieben möchte und, statt Kritik des Zeitgeists zu betreiben, lieber gleich eine Ontologie des menschlichen Verstands im Prozess der moralischen Selbstaufgabe entwirft. „Apocalypse Now“ ist aber auch ein Produkt entfesselter Megalomanie, das zugleich die ersten Seiten des letzten Kapitels von New Hollywood aufschlug und synonym mit dessen Niedergang gedacht wird: ein Regisseur, der sich mit gerade mal 35 Jahren nach „Der Pate“, „Der Pate 2“ und „Der Dialog“ auf seinem Karrierehöhepunkt befand und als hofiertes Wunderkind Freiheit und Macht im Produktionsprozess nicht mehr unterscheiden wollte; ein zunächst überschaubares Budget, das schließlich mit über 30 Millionen Dollar den Film zum damals teuersten der Geschichte werden ließ; chaotische Dreharbeiten im philippinischen Dschungel, bei denen jede Logistik aus dem Ruder lief: ein Taifun zerstörte das millionenschwere Set, Hauptdarsteller Martin Sheen erlitt einen Herzinfarkt und befand sich für Wochen außer Gefecht, Marlon Brando brillierte wegen mangelnder Vorbereitung bei seinem einmonatigen Einsatz durch wochenlange Diskussionen und kostete allein über drei Millionen Dollar, aus ursprünglich 13 Wochen Drehzeit wurden 33 und mittendrin wütete ein hypernervöser, buchstäblich bis aufs Haus verschuldeter Coppola, der „Eisenbieger“ (Dominik Graf), der täglich das Drehbuch änderte, ständig zwischen den Rollen des dekadenten Despoten und depressiven Künstlers switchte und sich selbst von epileptischen Anfällen, Drogen und Selbstmordabsichten nicht beirren ließ. Captain Willards (Martin Sheen) Reise ins Herz der Finsternis, der im Vietnamkrieg vom Geheimdienst instruiert wird, den wahnsinnigen Colonel Kurtz (Marlon Brando) und sein Purgatorium im kambodschanischen Dschungel zu eliminieren, wuchs auch für die Crew zum fiebernden Road Movie.
Bereits im Jahr 2001 noch mal durch die etwa 50 Minuten längere und minimal umgeschnittene Redux-Version pompös zurück ins kulturelle Gedächtnis gerufen, erschien dieser Tage eine definitive 3 Disc-Blu-ray-Edition des Films, die beide Versionen beinhaltet. Betrachtet man das ausladende, auf zwei Discs verteilte Bonusmaterial in chronologischer Reihenfolge, entwickelt sich daraus fast eine eigene Dramaturgie. Die gegenseitige Wertschätzung, derer sich Martin Sheen und Francis Ford Coppola eingangs beim fast einstündigen Anekdotentausch bis zur höflichen Lüge versichern, erhält eine Spur Skepsis, wenn die folgenden Interviews mit den weiteren Beteiligten niemanden wirklich zufrieden auf die Zeit zurückblicken, die meisten eher ächzen lassen, eine solche Anstrengung lieber doch kein zweites Mal auf sich zu nehmen. Das Kernstück, die berühmte Dokumentation „Hearts of Darkness“ (1991), u.a. vor Ort von Coppolas Frau Eleanor Coppola gedreht und mit einigen heimlichen Tonaufnahmen von Francis Coppolas cholerischen Selbstzweifeln und Wutausbrüchen versehen, schildert recht ungebrochen, wie oft sich anscheinend Verzweiflung und kreativer Prozess die Klinke in die Hand reichten. Gerade weil „Apocalypse Now“ (noch stärker in der Redux-Fassung) so unerschütterlich eine Linie zwischen modernem Kolonialismus und institutionell verabsolutiertem Wahnsinn spannt, ist es reizvoll zu sehen, wie sein Sujet gleichzeitig Bedingung seiner Produktion wurde, gedeckelt von einem außer Kontrolle geratenen Genius-Paradigma und nunmehr komprimiert in eine, so viel Begeisterung muss einfach mal sein, Edition für die Ewigkeit übertragen.