Selbst wer ihre erstaunliche Karriere nur aus dem Augenwinkel verfolgt hatte, konnte nicht umhin, von der Nachricht ihres Todes am 23. Juli 2011 nicht überrascht zu sein. Die Agonie der Sängerin Amy Winehouse spielte sich gewissermaßen in aller Öffentlichkeit ab; Bilder ihrer derangierten Auftritte fütterten die Medien; Konzerte und Tourneen wurden abgesagt – und wenn sie nicht im Vorfeld abgesagt wurden, liefen sie auf offener Bühne vor Publikum skandalös aus dem Ruder. Am Schluss dann Herzstillstand infolge massiven Alkoholkonsums: ein dunkles Pop-Gesamtkunstwerk.
Aufnahme in den „Club der 27“. Knapp ein Jahr nach ihrem Tod wurde der britische Filmemacher Asif Kapadia („Senna“) kontaktiert, ob er sich einen Film über Amy Winehouse im Stil von „Senna“ vorstellen könne. Könne er, wiewohl selbst kein Fan der Sängerin. Völlige künstlerische Freiheit vorausgesetzt, wolle er fragen: „Wie kann jemand in unserer modernen Zeit auf diese Art und Weise sterben? Und es war nicht einmal ein Schock.“
Während die Recherche nach verwertbarem Material begann, wurden gleichzeitig Interviews gemacht und schließlich konzeptionell beschlossen, Amy Winehouse programmatisch als Singer/Songwriter zu verstehen. Meint: die Erzählung des Films sollte von den Texten ihrer Songs strukturiert werden. „They tried to make me go to rehab / But I said no, no, no!“ Winehouse war eben nicht nur eine Retro-Soul-Interpretin, sondern sie schrieb ihre Songs selbst.
Hier setzt der Film an, um Ordnung ins vielfältige Material zu bringen. Ein narrativ unverzichtbares Gegengewicht zum Material über die öffentliche Karriere des Stars Amy Winehouse gelang Kapadia durch den Einbezug von Winehouses ältesten Freunden und ihrem ersten Manager Nick Shymansky, der immerhin 12 Stunden Videomaterial der frühen Jahre beisteuern konnte. Hier sehen wir eine hoch talentierte, witzige, aber auch unsichere Sängerin, die erst lange überredet werden musste, ein Album aufzunehmen, von der aber nachdrücklich behauptet wird, dass es durchaus Spaß machte, mit ihr zusammen zu sein.
Natürlich finden sich in „Amy“ auch die heute konventionellen Zutaten einer Musikdokumentation, die Kollegen, die von Talenten nur in Superlativen schwärmen, die Kollegen, die schwören, sie hätte die andere Seite des Drogenwracks kennengelernt, sooo talentiert, soooo eine Stimme, sooooooo much fun. Auftritt: Tony Bennett. Wie bereits im Falle von „Cobain: Montage of Heck“ ist es ganz erstaunlich, über welchen Reichtum an Material Dokumentaristen in Zeiten verfügen können, in denen Aufzeichnungstechnologien digital »demokratisiert« worden sind. Jeder filmt jeden, immer.
Die »Unschuld« der frühen Jahre sorgt dann dramaturgisch für die entsprechende Fallhöhe, wenn es im Film um das lange Sterben der Amy Winehouse geht. Hatte sie selbst nicht schon früh artikuliert, dass sie nicht geschaffen sei für die große Bühne? Allmählich und durchaus subtil gerät der Film zur Anklageschrift. Da ist der coole Junkie Blake Fielder-Civil, in den sich Amy unglücklich verliebt, dem sie die traurigen Songs von „Back To Black“ widmet, der Amy mit harten Drogen anfixt, sie heiratet, die längste Zeit der Ehe im Gefängnis sitzt – und der jetzt vor der Kamera nach bestem Wissen und Gewissen lässig als Mega-Arschloch Auskunft gibt. Da ist Amys Vater, der die Familie früh verlassen hat und sich jetzt im Glanze des Ruhms seiner Tochter sonnt. Der seine eigene kleine Musikerkarriere nun noch einmal im Rampenlicht nachspielte. Dem PR selbst im Urlaub in der Karibik vor die Sehnsucht der Tochter nach etwas Privatheit geht. Der seine Tochter zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht in den Entzug schickte, weil es strategisch dumm gewesen wäre. Der sich durch den fertigen Film jetzt verunglimpft fühlt. Durchaus sehr zu Recht. Da ist das Management, das sich nicht verantwortlich fühlte, in das üble Geschehen einzugreifen, weil man fürs Geschäft, aber nicht fürs Private zuständig war. Da ist Amy selbst, die 2008 bei der „Grammy“-Verleihung ihren größten Triumph nüchtern feiert und anschließend sagt: „Ohne Drogen ist das alles nur langweilig.“ War sie also jemand, der – Kleist zitierend – auf Erden nicht zu helfen war? Oder hat sie eine Gemengelage einander widerstrebender Interessen nicht überlebt?
Der Film selbst hat eine klare Position und lässt sich für die über Jahre sich hinziehende quälende Agonie reichlich Zeit, um den Zuschauer mit Medienschelte und Schuldzuweisungen zu quälen. Wer als Amy-Fan in diesen Film kommt, wird mit dem Gefühl größter Ohnmacht und ohnmächtigem Zorn in den Alltag entlassen. Natürlich war der Preis, den Amy Winehouse für ihre Kunst zu zahlen hatte, zu hoch. Aber wäre Amy Winehouse ohne »Amy Winehouse« zu Amy Winehouse geworden? Ist das nicht genau der Ausweis authentischer Kunst, den das Publikum sehen will?
Dass der parteiliche Film, der den Zuschauer zweifelsohne und ohne große Umschweife emotional manipuliert, in der (kritischen) Darstellung der Agonie sich beim Bilder-Pool der Medien ausgiebig und unkommentiert bedient, ist ein weiterer Punkt, den man an „Amy“ kritisieren kann. Dass diejenigen, die es an der Zeit fanden, eine Dokumentation über Amy Winehouse zu initiieren, jetzt als zumindest amoralische Egoisten erscheinen, ist eine Überraschung. Dass man sich mit dem Mythos des „Tortured Artist“ jetzt an die Neu-Verwertung des Nachlasses machen wird, ist absehbar. Ja, der Film ist sogar der erste Schritt der Leichenfledderei. Gut gemeint, vielleicht, aber nicht nur notwendig Teil des Systems, sondern durchaus mit einem pornografischen Gespür für die Dramaturgie.