Trotz Globalisierung und Informationsflut bleibt den meisten Europäern die östliche Weltmacht China eher fremd, ja vielleicht sogar ein bisschen unheimlich. Die gigantische Fläche, die Menschenmassen, die Schlagzeilen über Luftverschmutzung und Todesstrafen – das alles addiert sich zu einem eher düsteren Außenbild. Der neue Film des chinesischen Regisseurs Jia Zhangke liefert nun eine noch viel düstere Ansicht, allerdings von 'innen': Die Protagonisten seines episodenhaft strukturierten Films 'A Touch Of Sin' versuchen sich in einer entmenschlichten, ultra-materialistischen Welt über Wasser zu halten und werden dabei zum blutigen Äußersten getrieben. Virtuos mischt Zhangke nüchternen Realismus mit stilisierter Splatter-Gewalt und schafft so einen poetischen Exploitationfilm.
Schon das erste Bild des Films leitet dies gekonnt ein: Eine perfekt arrangierte Einstellung zeigt einen auf einer einsamen Bergstraße umgekippten Laster, aus dem blutrote Äpfel auf den Asphalt rollen. Diese idyllische Optik wird jedoch jäh gebrochen: Eine mit Beilen bewaffnete Gruppe Jugendlicher versucht einen Motorradfahrer zu überfallen, dieser erschießt alle drei kaltblütig. Er ist nur eine von vier Hauptfiguren, die brutale Gewalt als letzten Ausweg aus einer von Ausbeutung und Korruption geprägten Gesellschaft wählen. In der ersten Episode etwa zieht ein entlassener Minenarbeiter gegen die skrupellosen Konzernchefs, deren Familien und andere Störenfriede mit der Schrotflinte zu Felde. Im nächsten Abschnitt wehrt sich eine junge Frau mit drastischen Methoden gegen ihre Vergewaltigung durch widerwärtige Geschäftsmänner.
Zhangke inszeniert diese Ausbrüche mit maximaler Brutalität und konterkariert so den ansonsten trockenen Stil mit einem grimmigem Zynismus, der an Tarantino, Park Chan-Wook und alte Martial-Arts-Filme erinnert. Durch diesen methodischen Stilwechsel lassen sich die bizarren Gewaltexplosionen sowohl als bittere Realität als auch als eskapistische Fantasien der Verzweifelten verstehen. Allerdings lösen sich selbst diese Fluchten in die Kino-Gewalt gegen Ende ins Nichts auf: Die letzte Episode, die von der tragischen Liebe eines Nachtclub-Angestellten erzählt, lässt schließlich nicht einmal mehr diese Hoffnung zu. So wirkt 'A Touch Of Sin' als eine ebenso polemische wie kunstvolle Abrechnung mit einer ums Goldene Kalb tanzenden Gesellschaft noch lange und bitter nach.
Dieser Text ist zuerst erschienen in: Konkret 1/2014
Eine weitere Kritik zu 'A Touch of Sin' gibt es hier: Link