Die tiefen, dunklen, deutlich voneinander abgesetzten Streichertöne zu Beginn von Benoît Jacquots Melodrama „3 Herzen“ verheißen nichts Gutes. Eine bedrohliche Schwere und Schicksalhaftigkeit liegen darin, die weit darüber hinausgehen, dass Marc Beaulieu (Benoît Poelvoorde) seinen Zug zurück nach Paris verpasst hat und die Nacht in einer kleinen Provinzstadt verbringen muss. Schon eher klingen aus Bruno Coulais‘ Musik die zukünftigen Liebesschmerzen einer zufälligen Begegnung mitsamt ihren Hoffnungen und Verfehlungen. Kunstvoll ins Bild gesetzt (Kamera: Julien Hirsch) wird sie durch einen Wandspiegel in einer Bar, der den Kontakt zwischen dem aufgekratzten, fahrigen Steuerprüfer und der in sich gekehrten Antiquitätenhändlerin Sylvie Berger (Charlotte Gainsbourg) indirekt vermittelt. In der Nähe liegt also von Anfang an eine Distanz.
Unsicher und nervös, aber auch merkwürdig sprunghaft und ungewöhnlich offen ist dieser erste Dialog zwischen Sylvie und Marc, der sich fortsetzt in einer langen Nacht und ihre Gefühle füreinander wachsen lässt. Dass sich die beiden ein paar Tage später, beim verabredeten Rendezvous in den Tuilerien, verpassen, liegt in der Logik der melodramatischen Konstruktion, die mehr als einmal etwas gewollt forciert erscheint. Man muss das akzeptieren, um sich von den liebeskranken Implosionen dieses Gefühlskinos erfassen zu lassen. Auch die häufigen Perspektivwechsel sowie jener Off-Erzähler, der an wenigen Stellen kurz und knapp aus dem dunklen Nichts auftaucht, um die Handlung zu raffen, liegen in dieser etwas ungelenken Logik. Leider macht Benoît Jacquot an entscheidender Stelle auch vor dem Komödiantischen nicht Halt, wenn er zwei als Witzfiguren dargestellte Chinesen dafür verantwortlich macht, dass der gestresste Marc einen Schwächeanfall erleidet und sein Date verpasst.
Also lernt der gewissenhafte Finanzbeamte, wiederum zufällig, einige Zeit später Sylvies sensible jüngere Schwester Sophie (Chiara Mastroianni) kennen und lieben. Die beiden heiraten, bekommen ein Kind und führen ein „normales, ruhiges Leben“; was in diesem emotionsgeladenen Drama über schicksalhafte Begegnungen, verpasste Gelegenheiten, tiefe Blicke, unmögliches Vergessen sowie ein übermäßiges Leiden an der Liebe natürlich nicht so bleiben kann. Auf dunkle Ahnungen folgt unweigerlich eine Unruhe und Verzweiflung stiftende Realität.
Wenn Sylvie und Marc sich wiederbegegnen, hat er gerade Sophie geheiratet und liegt betrunken auf dem Bett, als er plötzlich förmlich aus dem Dunkel gerissen und ins deutlich verunsichernde Licht gestellt wird. Seine Verletzlichkeit und ängstliche Unruhe, die sich auf den Zuschauer übertragen, erinnern manchmal an das Spiel von Yves Montand in Filmen Claude Sautets. In der sehr melancholischen, seltsam unbehaust und verloren wirkenden Sylvie, die von Charlotte Gainsborug kongenial verkörpert wird, findet er eine Seelenverwandte, die schon bei ihrer ersten Begegnung sagt. „Ich würde gerne in die Wüste reisen.“ Wohin ihrer beider nur kurz dauernde Flucht vor aufgehender Sonne allerdings führt, bleibt ungewiss. Tatsächlich könnte Benoît Jacquots Film „3 Herzen“, so legt der Schluss nahe, auch ein Traum sein oder die Vision eines zwischen Leben und Tod „schwebenden“ Menschen.