(Un)verkäufliche Symbolik

Über zweieinhalb Minuten Ophüls
von Janis El-Bira

Qu’est-ce que je dois faire?“, kokettiert Louises, d.i. Danielle Darrieux’ Stimme. Wir sehen mutmaßlich ihre Hände: Sie gleiten prüfend und sorgfältig abwägend über Juwelen, Armreife, Ringe, diamantbesetzte Kruzifixe. Schmuckschatullen öffnen und schließen sich mit sanftem Klicken. Die Kamera wandert, zieht sie fort von den Kleinoden hin zur Garderobe. Eine Schranktür gibt ausladende Ballkleider, eine andere Pelze und Hüte frei. Im Chanson, das im Hintergrund plätschert, heißt es, auch der Verkauf einer ganzen Phalanx brächte nicht einmal 20.000 Francs. Wir verstehen also, was Ophüls uns zeigt: Die Waffen einer Frau. Weniger militärisch: „Zwei oder drei Dinge, die ich von ihr weiß“. Ein getragenes, ja leicht abgetragenes Leben. Das Leben einer Unsichtbaren, müsste man ergänzen, denn was wir nicht sehen, ist Louise selbst. Doch sie kommentiert: Nein, nicht dieses. Hiervon kann sie sich unmöglich trennen. Das hier? Eher würde sie sich selbst ertränken. Ein Anderes kommt in Frage, doch „das Problem ist: Es war sein Hochzeitsgeschenk.“ Sie streicht über die Ärmel der Pelze, als seien sie das Haar eines Geliebten. Es herrscht Ausverkauf im Haus der Dame.

Schließlich greift sie schweren Herzens nach einem Hut und beim Anprobieren sehen wir erstmals ihr Gesicht: In einem Spiegel, als Reflexion. Wir bemerken, dass ihre Stimme zu Beginn nicht bloß zur Hörbarkeit gebrachter Gedanke war. Sie spricht laut (doch mit wem?). Sie legt ein Collier an. Nein, ausgeschlossen. Vielleicht lieber das funkelnde Kreuz? „Oh non, j’adore!“ Die Ohrringe sind es, das Hochzeitsgeschenk, über die sie den fatalen Beschluss fasst: „Sie gehören mir. Ich kann mit ihnen tun, was ich will.“ Sie wird sie verkaufen, denn sie ist verschuldet. Tragisch werden sie zu ihr zurückkehren, wenn sich die Sprache der Liebe und die Sprache des Geldes babylonisch verschränken.

Die Anfangsszene von Max Ophüls’ „Madame de…“ (1953) ist in ihrer Art nicht zu übertreffen. Vor allem jedoch ist ihre Prämisse nur filmisch einlösbar. Da ist diese sich in einem säuselnden „Als ob“, einer Dauerprüfung der Spieloptionen bewegende Stimme Louises, die ironische Brechung ihrer Bemerkungen im Text des Chansons, die Begegnung mit dem optischen Widerhall ihres Gesichts im Spiegel: Kaum irgendwo war oder ist Film so entpersonalisiert, objektiviert und derart bar aller Identifikationsangebote. Stattdessen sind es die vermeintlichen Akzidenzien eines höchstwohlhabenden „fin de siècle“-Paares, die hier die Hauptrolle spielen. Wir können nicht immer auseinanderhalten: Betrachtet eine unsichtbare Louise ihre Besitztümer oder blicken nicht vielmehr jene, sinnbildlich gesprochen, auf sie zurück? Was würden sie dort sehen? Wohlmöglich geht dieser Blick ins Dunkel eines unauflösbaren Widerspruchs: Louise setzt den Hut nicht auf (und das begreifen wir erst vor dem Spiegel), weil sie seinen Verkaufswert schätzen will. Sie trägt ihn, weil er dazu gehört: Zum Collier, zu den Ohrringen – zu ihrem Gesicht, zu ihr. Er ist eine Verlängerung ihres Körpers. Es scheint, als könne ihr Gesicht überhaupt nur schön sein, wenn der Hut es abrundet, es schirmt und rahmt. Stolz ist somit ihr Blick, in dem Moment, da sie ihn im Spiegel in die richtige Position gebracht hat. Es sind die Dinge selbst, die sie zur Frau machen, die sie ist. Ihre Rückübersetzung in Geldwerte gebiert eine schreckliche Dialektik: Sie muss abstoßen, um wiederzuerlangen. Das wäre nun an sich weniger furchtbar, handelt es sich dabei doch zunächst einmal bloß um eskalierenden Kapitalismus. Das „Versilbern“ ungeliebter Geschenke aber hat einen Fallstrick in der Unverkäuflichkeit des Symbolischen. Es mag sein, dass Louise sich nicht mehr groß um das Initiationsgeschenk einer nunmehr vor allem äußerlich existierenden Ehe schert. Ihr Satz, sie könne mit den Ohrringen tun, was sie wolle, sie gehörten schließlich ihr, stimmt aber dennoch nur auf den ersten Blick. Die Tragik besteht darin, dass sie das Symbolische zwar in sich selbst tilgen, nicht jedoch vom Gegenstand ablösen kann. Dieser bleibt allzeit neu aufladbar – Symbol der Liebe, Symbol des Reichtums, Symbol der gesellschaftlichen Zugehörigkeit. So nimmt sie später die Ohrringe aus anderen, geliebteren Händen erneut entgegen – und kann doch noch immer nicht über sie verfügen, denn aus der Symbolgeschichte des kostbaren Geschmeides gibt es kein Entkommen.

Was hier zum Verkauf steht, ist nicht ein Paar Ohrringe: Es ist Louise selbst; ihr Körper, wie er sich allein im Spiegel, mit Hut und Collier als vollständig erfindet. Die Ohrringe zu verkaufen bedeutet, Begehren symbolisch weiterzugeben, wegzuschenken; heißt, zu Geld machen zu wollen, was auf gefährliche Weise jenseits der Tauschsphäre liegt. Hier kommt niemals ungebrochenen Herzens raus, wer noch immer unvorsichtig mit zweierlei Maß messen will: Die Symbolik des Kreuzes bleibt in der Anfangsszene ebenso unantastbar und unverkäuflich, wie später die romantische Neuaufladung der vom Geliebten wiedergebrachten, geschenkten Ohrringe. Louise hätte wohl gut daran getan, sie direkt einschmelzen, ihren reinen Materialwert zu Geld machen zu lassen. Doch unmöglich – sie sind schön und schöner noch an den Ohren im Spiegelbild einer Frau. Jeder Spiegel ist, wie jedes Filmbild (nicht nur) bei Ophüls, eine Rahmung. Ophüls hat diesen Rahmen nie gesprengt, doch schon in den ersten zweieinhalb Minuten „Madame de…“ drückt sein Außen tiefe Risse ins blattvergoldete Holz.

(Alle Bilder: © Arthaus)