Wenn sich die Motorengeräusche verzogen haben, bleibt für Max von seiner Familie, von Frau und Kind, nur noch ein Ball und ein Kinderschuh auf der Weite der Straße zurück. Auf der Straße, die in dem von dem australischen Regisseur und einstigen Arzt George Miller inszenierten und für etwa 400.000 Dollar selbst produzierten, sensationell erfolgreichen und unzählige Male kopierten „Mad Max“ von 1979, zum Austragungsort der letzten Schlachten wird. Der Schlachten zwischen einem in der dystopischen nahen Zukunft nur noch in Rudimenten vorhandenen Gesetz und den Outlaws. Der Schlachten zwischen den Punks und den Hippies. Der Schlachten zwischen den stark homosexuell dargestellten Bikern und der heterosexuellen bürgerlichen Kleinfamilie. „Mad Max“ erzählt von einer doppelten Rache, einer Rache für eine Rache und somit von einem Kreislauf der Gewalt, der sich beliebig fortführen ließe. Der Polizist Max Rockatansky (gespielt vom damals noch gänzlich unbekannten Mel Gibson) bringt im Dienst den Rocker Nightrider zur Strecke. Als dessen Männer aus Rache Max‘ Familie umbringen, ist es an ihm, der zwischenzeitlich den Dienst quittiert hatte, um sich ganz Frau und Kind zu widmen, seine schwarze Lederkluft wieder anzulegen und bedingungslose Jagd auf die Biker zu machen. Die letzten 20 Minuten des Films, in denen gezeigt wird, wie Max einen seiner Widersacher nach dem anderen niedermetzelt, bilden für sich genommen einen kompromisslosen, dramaturgisch abgeschlossenen und – schon rein zeitlich – aufs Äußerste reduzierten Rache-Actioner.
Was die erste Stunde des Films so interessant macht, ist, neben der einen oder anderen fulminant in Szene gesetzten Verfolgungsjagd – gleich die erste zu Beginn dauert satte zehn Minuten –, wie ein Genrefilm als offener Text konzipiert wird. In den Szenen mit seiner Frau spricht Max über seine Gefühle zu ihr, über die Gefühle, die er in der Jugend für seinen Vater hegte, als er noch nicht in der Lage war, diese zu kommunizieren. In diesen Szenen entsteht ein Möglichkeitssinn dafür, dass aus Max Rockatansky ein anderer hätte werden können. Nicht Mad Max. Nicht der ewig durch das Wasteland driftende Road Warrior, der er im zweiten Teil ist. In dem Gesellschaftsbild des Films, das man sicherlich nicht mögen muss, ist die Familie der letzte Hort der Zivilisation, etwas außerhalb der durch und durch fetischisierten Männerwelt aus Leder, Benzin und dröhnenden Motoren. Mit seiner Familie verliert Max auch die Sesshaftigkeit und es bleibt ihm nur noch die Straße (und die Suche nach Ersatzfamilien, nach einem Zusammenleben, das in den folgenden drei Filmen immer neue Formen annimmt, was unter anderem auch bedeutet, dass die Rolle, die Frauen in der Welt der Filme übernehmen, immer wieder neu definiert wird: von der Frau als Hüterin der Familie in „Mad Max“ bis zur – mindestens – ebenbürtigen Mitstreiterin im Kampf auf der Straße in „Mad Max: Fury Road“, dem kürzlich erschienen vierten Teil des Franchise).
Der zweite Teil, im Original „The Road Warrior“ betitelt, konnte zwei Jahre später, nach dem immensen Erfolg des Erstlings schon mit wesentlich höherem Budget realisiert werden. Herausgekommen ist ein Film, der eine reziproke Beziehung zur Bilderproduktion der Populärkultur unterhält. Einerseits ein Film, der sich nimmt, was er braucht beim Western, bei der Ästhetik verschiedener Subkulturen und der Bibel. Und andererseits einer, der die Vorstellung von einer post-apokalyptischen Zukunft, einer Welt nach dem Zusammenbruch, entscheidend mitgeprägt hat.
„The Road Warrior“ beginnt mit einer Art Recap, das nicht nur die Geschichte des ersten Teils rekapituliert, sondern zugleich vom endgültigen Zusammenbruch der Zivilisation berichtet, in einem Szenario, das im Kontext des Jahres 1981 an einen heiß gewordenen Kalten Krieg erinnern mag. Max verschlägt es, wie einen einsamen Westerner, in eine kleine Stadt, die eher einer Ölraffinerie gleicht, in der einige Tapfere den beständigen Angriffen von Lord Humungus und seiner Truppen standhalten, die es auf die großen Benzinreserven abgesehen haben. Die homoerotische Zeichnung der Bösen ist so offensichtlich, dass es schwerfällt von einem Subtext zu sprechen. Humungus selbst sieht aus wie eine SM-Phantasie. Nur eine lederne Unterhose bedeckt seinen Bodybuilder-Körper, sein Gesicht eine Art stählerne Hockeymaske. Seine Mitstreiter tragen schwarzes Leder, das das Gesäß frei lässt und führen einander an Ketten herum, die an Hundehalsbändern befestigt sind. Doch die Homophobie dieser Konstellation ist ein zweischneidiges Schwert. Max, den wir zu Beginn als familiy man kennenlernen und der den Verlust seiner Familie wohl nie wirklich verkraftet hat, wird nicht nur durch die „schwulen Männer“ von außen bedroht, sondern er droht immer wieder auch, diesen gleich zu werden. Im zweiten Teil gelingt es ihm etwas mehr sich abzugrenzen, einen Unterschied zu machen als im ersten. Laut Georg Seeßlen geht es in Mel Gibson-Filmen immer auch um die Konstruktion von Männlichkeit. Und diese Männlichkeit scheint (zumindest in den ersten beiden „Mad Max“-Filmen, ganz anders verhält es sich sicherlich in „Fury Road“, nun allerdings auch ohne Mel Gibson) immer schon eine prekäre, in ihrer (hetero-)sexuellen Identität tief verunsicherte zu sein.
Szene aus „Mad Max 2: The Road Warrior“ (Foto: © Warner)
Jedenfalls bietet sich Max nach einigem Hin und Her an, mit der Bevölkerung der Ölraffinerie den Exodus zu unternehmen. Mit einem Truck, der stark genug ist, ihren riesigen Tank zu ziehen, geht es los in Richtung eines Landes, das weit jenseits der Wüste liegen soll (und von dem einige alte Klapppostkarten mit Bildern von Bounty-Stränden mit Palmen und Damen im Bikini zeugen. Wahrlich eine ausgesucht triste touristische Vorstellung des gelobten Landes!). Als sich Humungus und seine Männer an ihre Fersen haften, beginnt eine jener großartigen, ikonischen Verfolgungsjagd, die für Lukas Foerster den eigentlichen Kern der Reihe ausmachen.
1985 entstand der dritte Teil, „Mad Max Beyond Thunderdome“, der bei vielen Fans der ersten beiden Filme einen etwas schweren Stand hat, wohl vor allen Dingen, weil er gerade in der zweiten Hälfte eine wesentlich familienfreundlichere Endzeitvision liefert, die düstere B-Movie-Dystopie der Vorgänger mit einem wesentlich lichteren Abenteuer-Blockbuster fortführt, in dem weniger mit tödlichen Waffen geschossen und mehr mit Pfannen geschlagen wird.
Mit dem zweiten Sequel wird auch klar, dass das Franchise nicht nur keine fortlaufende Geschichte erzählt, sondern dass mit jedem Film auch eine neue, etwas anders gelagerte Welt konstruiert wird. Und das Hermetische dieser jeweiligen Welten erklärt auch den unerbittlichen, frenetischen Vorwärtsdrang der Filme, in denen es jedes Mal aufs Neue darum geht nicht nur den Verfolgern, sondern gleich der ganzen gezeigten Welt zu entkommen (in „The Road Warrior“ etwa berichtet ein Voice-Over zum Schluss, dass die Flucht Richtung Norden erfolgreich war, die Bilder dieses Ortes jenseits der gezeigten Realität bliebt der Film uns aber schuldig).
„Mad Max 3: Beyond Thunderdome“ (Foto: © Warner)
In „Beyond Thunderdome“ nun besteht diese Welt zunächst aus der Stadt Bartertown, die von Aunty Entity (Tina Turner mit blonder Mähne und Kettentop) mit eiserner Hand und nach von ihr selbst geschriebenen Gesetzen regiert wird. Der Energiebedarf dieser Stadt wird durch Methangas gedeckt, das in der sogenannten Underworld, einer Art unterirdischer Fabrik, produziert wird – aus Schweinescheiße. In dieser Unterwelt herrscht MasterBlaster, ein kleinwüchsiger Mann (Master), der auf den Schultern eines Riesen (Blaster) sitzt und die sogar einen Namen teilen. Entity will sich Blaster entledigen, um die Macht des Gespanns zu brechen. Dazu kommt ihr Max gerade recht, der Blaster im Thunderdome herausfordern soll, der stählernen Kuppel, in der alle Konflikte in Bartertown als öffentliche Spektakel ausgetragen werden, und wo nur eine Regel gilt: „Two men enter, one man leaves.“
Wo Bartertown erneut eine Referenz an die klassische Frontier-Stadt im Western und, aufgrund des eifrigen Handels mit allerlei Waren sowie der Arbeitsteilung zwischen Stadt und Unterwelt, auch ein Bildnis eines wieder erstarkenden Kapitalismus ist, gelangt Max von hieraus in ursprünglichere, paradiesischere Gefilde. Nachdem er, weil er sich letztlich nicht bereit erklärte Blaster zu töten, aus der Stadt verstoßen wird, nimmt ihn ein Stamm von Kindern zu sich auf. Edle Wilde, die es sich ironischerweise gerade zum Vorsatz gemacht haben, die Erinnerung an eine Welt vor ihrer Zeit aufrecht zu erhalten: die großstädtische Zivilisation. In Max meinen sie den lang erwarteten Auserwählten gefunden zu haben, einen Piloten namens Captain Walker, der sie zurück in das Reich ihrer Vorfahren führen soll. Die religiösen Zwischentöne des Vorgängers werden auf die Spitze getrieben, wenn Max langsam in seine Erlöser-Rolle hineinwächst und abermals den Auszug per rasanter Verfolgungsjagd einleitet.
Nach dreißig Jahren und einer Karriere, die ihn mitunter in ganz andere Bereiche des kommerziellen Kinos führte („Schweinchen Babe“, „Happy Feet“), kehrt George Miller nun zum „Mad Max“-Franchise zurück. „Mad Max Fury Road“ ist nicht nur ein erneut Maßstäbe setzendes, furioses Action-Spektakel geworden, sondern der vielleicht auch konsequenteste Film der Reihe. An einem Ort namens Citadel regiert der Herrscher Joe Immortan über die dreckigen, zerlumpten, verlausten und durstigen Massen, indem er ihnen das Wasser streng rationiert. Die „Mad Max“-Filme waren immer schon auf recht eigentümliche Weise Kostüm-Kino und die Maskenbildner tragen vor allem hier ihren entscheidenden Anteil zur Eindrücklichkeit, zur beispiellosen Expressivität des Szenarios bei. Citadel ist die Heimat der Durchgeknallten, das Land der Kaputten, und seine Bewohner tragen ihre Durchgeknalltheit und Kaputtheit auf ihren deformierten Körpern. Mit Tätowierungen und Brandings, mit Narben und Geschwüren, mit dem silbernen Lack, den sich die Heranwachsenden dieses Ortes immer wieder selbst in ihre leichenbleichen Fressen sprühen. Die Traumata, die es verursacht, an einem solchen Ort aufzuwachsen und zu überleben, sind so nach außen, auf die Körperoberflächen gekehrt.
Szene aus „Mad Max: Fury Road“ (Foto: © Warner)
An einen Erlöser will in dieser Welt niemand mehr glauben und so mag der Wechsel in der Besetzung der Titelfigur, die nun von Tom Hardy gespielt wird, der in der Darstellung gebrochener Helden einige Erfahrung hat (zuletzt etwa in „Kind 44“ oder – noch wesentlich besser – in „The Drop“) auch eine Abkehr von der Religion und den politics eines Mel Gibson bedeuten. Damit einhergehend verfolgt „Fury Road“ auch eine regelrecht feministische Agenda. In der patriarchalen Ordnung von Citadel scheinen Frauen nur als Lieferanten von Muttermilch und Babys ihren Platz zu haben. Die von Charlize Theron gespielte, einarmige Imperatorin Furiosa, für viele die eigentliche Hauptfigur des Films, macht sich mit einem Tanklaster Immortans aus dem Staub. Bei sich hat sie fünf Frauen, eine davon hochschwanger, die vorher Sexsklavinnen waren.
Nach einer ersten Verfolgungsjagd, die Max ziemlich hilflos, mit einer eisernen Maske vorm Gesicht an eines der überdimensionierten, phantasievoll gestalteten Fahrzeuge verbringt, sieht Max die Frauen, die bei dem Laster stehen und aus einem Schlauch Wasser trinken. Ein Bild, das konzipiert ist wie eine Oase in der rostbraunen Wüstenwelt des Films. Im Folgenden steht kein großer Plot der wilden Raserei durch das Wasteland im Wege, die für einen gegenwärtigen Blockbuster in erstaunlichem Maße auf CGI verzichtet und stattdessen auf handgemachte Effekte und reale Körper und Fahrzeuge in Bewegung setzt.
Über eine entscheidende Pointe verfügt der Film jedoch noch. Chalize Theron muss einsehen, dass das gelobte Land, in das sie ihre überwiegend weiblich besetzte Karawane führen wollte und das schlicht „Green Land“ genannt wird, nicht mehr existiert. Nachdem sie ihre Enttäuschung in die Wüste hinaus geschrien hat, lässt sie sich schließlich von Max überreden, den Rückweg nach Citadel anzutreten. Verfolgt von Joe Immortans Monstertruck-Fuhrpark, der von einem eigenen riesigen Boxenwagen mit vier Trommlern und einer feuerspeienden Gitarre mit Live-Musik beschallt wird, brettern sie wieder dahin zurück, von wo sie am Anfang aufbrachen. Ihr Ziel ist nicht mehr die Ferne, sondern die Abschaffung von Immortans Schreckensherrschaft und die gerechte Verteilung der hiesigen Ressourcen. Empowerment statt Erlösung.