Der Geist des neuen Kapitalismus: Jan Distelmeyer hat die Versprechungen und Begrenzungen des DVD-Kinos untersucht.
Als die DVD vor 15 Jahren das Licht der Welt erblickte, wurde ihr gigantischer Siegeszug seitens der Industrie mit dem Slogan „It’s more than just a movie“ flankiert. Ein Motto, das uns gemeinen Filmnerds bereits augenscheinlich einleuchtete: Zu gewaltig war der Schritt von der klobigen und ungemein verschleißanfälligen VHS-Kassette zur digitalen Simulation eines mehr oder minder verlustfrei für die Ewigkeit konservierten Kinofilms. Einen Kampf um die Rückbesinnung auf die unleugbaren Vorzüge eines nie vollends verdrängten Vorgängermediums, Stichwort Vinylplatte vs. CD, dürfte für das Videoband jedenfalls niemand mehr ausfechten wollen.
Anlässlich des 15jährigen Jubiläums hat Jan Distelmeyer mit „Das flexible Kino“ die erste deutschsprachige Monografie zur DVD (und auch zur Blu-ray) vorgelegt, gleichfalls ist es die Habilitationsschrift des Medienwissenschaftlers. Auf die technischen Eigenschaften, die die DVD zum derzeit omnipräsenten (Heimkino-)Trägermedium des Films prädestinieren, geht Distelmeyer nur bedingt ein. Statt dessen verknüpft er in exzellenter Manier diese ästhetisch-technologischen Voraussetzungen mit den Versprechungen auf Interaktivität und Gestaltungsvielfalt, die die Begriffe „Versatilität“ und „Digital“ im Verbund lancieren – ein Zusammenspiel, das Distelmeyer unter Rückgriff auf Foucaults Begriff des „Dispositivs“ weiterdenkt. Denn die Selbstermächtigung, zu der der Zuschauer beim Griff zur Fernbedienung angehalten wird, ist nicht ohne deren gleichzeitige Machtlosigkeit zu haben.
„It’s more than just a movie“ meint zweierlei: Es ist ein Appell an den Zuschauer, auf interaktiven Wegen den Film in bislang vollkommen neuartigem Ausmaß zu gebrauchen und eine Präsentation des Films, in der er sich, eingebettet neben animierten Menüs, Audiokommentaren, geschnittenen Szenen, alternativen Enden, variierenden Kameraperspektiven, isolierten Tonspuren, Making ofs, Featurettes, Interviews, Trailern, Gag Reels, Easter Eggs, Spielen, Kurzfilmen usw., sozusagen als eine Informationseinheit unter vielen entpuppt. Für den Film bedeutet beides, dass seine technische Reproduzierbarkeit völlig neue Formen erlangt, bei denen gefragt werden muss, was denn eigentlich sein Original sein mag? Die abgespeckte Kinoversion oder der notorische Director’s Cut auf DVD? Die synchronisierte Fassung? O-Ton, mit der entsprechenden Synchro als Untertitelleiste? Die Fassung, in der der Held am Ende überlebt oder doch noch stirbt? In der die entfallenen Szenen per Knopfdruck integriert wurden? Schwarzweiß oder in Farbe? 16:9 oder die alte 4:3-Version, die mit dem Pan & Scan-Verfahren neue Montagen erstellte? Haben gar die Betriebseinstellungen des DVD-Players die Entscheidungen gefällt? Oder zählt letztlich ganz einfach das, was im Kino gesehen wurde? „Der Rückzug auf »den Film auf DVD« beendet diese Diskussion nicht, er entfacht sie neu“, so Distelmeyer. Auch der Film und seine vermeintliche Autorschaft stellen also ihre Flexibilität unter Beweis, und es entbehrt nicht der Ironie, dass die DVD ursprünglich als Übergangsmedium konzipiert wurde, das sich als „möglicherweise zu perfekt“ erweisen sollte – ihre in der Entwicklung von Anfang an avisierte Konvergenz mit mehr als wie bislang nur einem Abspielgerät macht sie fit fürs Streaming-, Digital Copy- und Video on Demand-Zeitalter.
So polymorph der Film an sich, so begrenzt ist letztlich die Freiheit der Konsumenten, die sich schnell mit der Machtfrage konfrontiert sehen, nämlich sobald sie die DVD einlegen. Ein Vorgang, dem bereits die Einteilung des Erdballs in Regionalcodes vorausging – Selbstermächtigung beweisen da jene, die ihr Abspielgerät entsprechend präparierten. Neben Zwangstrailern und Anti-Raubkopie-Spots (deren Eingriff die den Ablauf der Inhalte regulierende UOP, User Operation Prohibition, kontrolliert und mitunter einschränkt) folgt dann auf Texttafeln die Belehrung darüber, was sie mit ihrem erworbenen Produkt alles nicht anstellen dürfen. Hier ist die Versatilität am nachhaltigsten außer Kraft gesetzt, nicht zuletzt, weil auf diese Weise die „Machtstellung jenseits der Nutzungsrechte bekräftigt“ und „Konsequenzen von Verstößen gegen die damit eingesetzte Ordnung bedeutet“ werden, die Androhung staatlicher Gewalt (Gefängnis, FBI) inklusive.
Penibelst und mit phänomenologischem Esprit arbeitet sich Distelmeyer durch sämtliche Erscheinungen des DVD-Dispositivs, in denen er immer wieder den Geist des neuen Kapitalismus entdeckt, die Verschränkung von Aktivität und dem sich Sich-Fügen in das Bestehende, das von externen Kräften bestimmt wurde – bis hin zum nie endenden DVD-Menü: denn ein Auswurf-Button ist im DVD-Interface nicht vorgesehen. Diskursiv sucht selbst ein solches Detail den paradigmatischen Anschluss an die Einübung in die Bedingungen der Flexibilisierung, die die DVD als Gesamterscheinung suggeriert. Denn, so fragte Distelmeyer bereits in einem früheren Aufsatz zum Thema, „was passt besser zu den Anforderungen einer »Informationsgesellschaft«, zum Aufruf permanenter Weiterbildung und dem politischen Programm »Lebenslanges(!) Lernen« als ein Angebot, mit dem auch die unverdächtigste Unterhaltungsware per Knopfdruck in eine Art Bildungsquelle verwandelt werden kann!“
Dieser Text ist zuerst erschienen in: junge Welt, 7.11.2012
Jan Distelmeyer: Das flexible Kino – Ästhetik und Dispositiv der DVD und Blu-ray
Bertz+Fischer, Berlin 2012, 288 Seiten, 25 Euro