Dass sich der Vampir im Gegensatz zum Zombie nie so recht als gesellschaftlicher Seismograph eignete, sondern viel stärker den gesellschaftlichen Regress figürlich fortsetzte, hat vielleicht damit zu tun, dass sich in ihm idealtypisch die Ängste der Herrschaft vor ihrem Niedergang ausdrückten – früher wohl die Furcht der Aristokratie vor der Verschmelzung mit dem Bürgertum, heute sicher die Furcht des Bürgertums vor der Verschmelzung mit den unkeuschen Instinkten des Pöbels. Dass der Zombie hingegen vor allem als Chiffre des Zerfalls, des sozialen, gesellschaftlichen und ökonomischen, denkbar ist, liegt vornehmlich an jenem Mann, dessen Oeuvre mit vorliegender Publikation endlich seine längst überfällige Huldigung erhält, einem der, wie Seeßlen schreibt, „linkesten Filmemacher“, den die Industrie hervorgebracht hat.
Anlässlich seines 70. Geburtstags spendiert der auf die Herausgabe bibliophiler Klassiker der phantastischen Literatur spezialisierte kuk-Verlag dem seinen Ruf als Zombieregisseur auch noch in seinem Spätwerk tüchtig unterfütternden George A. Romero seine erste deutschsprachige Monographie, und allein dieser Umstand setzt tragikomisch fort, wie es um Romeros Position im Filmbusiness bestellt ist. Von den Reaktionären stets verhasst, von den Progressiven nicht minder umschwärmt, bleibt er Zeit seines Lebens ein Maverick unter den Mavericks. Denn als diese die Sprache der Kinoindustrie insofern transformierten, dass sie dem Sperrigen, Ausgegrenzten, Wahnsinnigen und Nihilistischen eine gedämpfte Stimme verliehen, blieb Romero im ideologisch kompostierten Unterbau gefangen. Das galt zu den Zeiten New Hollywoods, und es gilt heute unvermindert, wo videocliperfahrene Jungspunde seine Werke für die Gegenwart in solch hochbudgetierten Dimensionen einer Relektüre unterziehen, von denen Romero in seinen eigenen Produktionen nur träumen kann. Dass also die einschlägigen Filmbuchverlage ihre Finger von dieser Edition ließen, könnte glatt als medial-habituelle Übertragung seiner Position innerhalb der Filmgeschichte gelesen werden – geschätzt, aber irgendwie auf Lebenszeit verfemt.
Romeros Flirt mit dem Mainstream war nie von großem Glück beschieden. Die Radikalität seiner Zombietrilogie „Night of the Living Dead“, „Dawn of the Dead“ und „Day of the Dead“, in der der Kapitalismus unrühmlich als Groteske seiner inhärenten Strukturen der Vernichtung, als Totalität der sozialen Verwahrlosung gelesen wurde, konnte ebenso wenig in die Bildproduktion des aseptischen feel goods übertragen werden, wie die soziologische und religionskritische Verzweiflung seiner Mikro- und Makrostudien „Martin“ und „The Crazies“. „Monkey Shines“ und „Stark“ wurden in den späten 80ern und frühen 90ern veritable Flops, erst 2006, mit „Land of the Dead“, versuchte sich Romero erneut an der Ausstaffierung seiner Zombiemythologie, mit wechselndem Erfolg wie „Diary of the Dead“ und nun jüngst „Survival of the Dead“ bewiesen. Seine randständige und von einem grundlegenden Pessimismus infizierte Sicht auf die Welt ficht dies indes nicht im geringsten an; letztlich bewahrt da einer Haltung, wo andere ihre Verzweiflung als kokettes Spiel mit der Formvielfalt eines Mediums zu kontrollieren lernen, das ihnen als Präsentationsfläche für eine schlechte Welt im Kinosaal dient, die uns daran erinnern soll, wie schön die Welt doch eigentlich außerhalb seiner geschlossenen Türen ist. Gut gelaunt jedenfalls lassen Romeros Filme einen nicht zurück. Bei ihm ist der Zombie die menschliche Katastrophe, die zeitgenössischen Vampire hingegen können momentan nicht viel mehr, als uns vor der Erosion konservativer Werte zu warnen.
Dass und warum Romero mit seiner spröden Härte – der Bildgröße, der Montage, dem Schnitt, selbstredend den in den seltensten Fällen optimistischen Sujets – mehr Gesellschaftskritiker denn manierierter Filmemacher ist, lässt sich an Georg Seeßlens Werkbetrachtung detailliert nachvollziehen, an der einzig zu bekritteln wäre, dass sie ein wenig wie ein Schnellschuss wirkt: Es gibt keine Fotos, das Schriftbild ist recht großzügig gesetzt, die Passagen über die Mythopoetik der Untoten gleichen hie und da den Beobachtungen aus Seeßlens Mammutwälzer „Horror“ aus dem Schüren Verlag, einige Filmanalysen sind eigentlich getarnte ausgedehnte Inhaltsangaben und auch der Bibliographie hätten ein paar weitere Einträge sicher nicht geschadet. Dennoch: als einführendes Werk in die Welt eines der schillerndsten Filmemacher ist es zukünftig unumgänglich.
Georg Seeßlen: „George A. Romero und seine Filme“
kuk Verlag, Bellheim 2010, 368 Seiten, 23 Euro