Im Horror kommt es, mehr noch als bei anderen Genres, auf die Dosierung an. Manches von dem, was Leuten früher die Haare aufstellte, wirkt heute recht harmlos. Der Wettlauf um immer heftigere Schockeffekte führt allerdings mitunter zu Filmen und Comics, deren ästhetisches Leitprinzip sich auf die Frage „Schaust du noch oder kotzt du schon?“ reduzieren lässt. Dieser primäre Appell an die sadistischen Neigungen und die Ekelschwelle des Publikums ist zynisch; davon abgesehen kann eine nur kurz unterbrochene Abfolge gröbster Reize ziemlich langweilig sein.
Ein Autor, der sich meisterhaft darauf versteht, ausgefuchstes, episches Erzählen mit Momenten ungeheuren Schreckens zu verbinden, ist Robert Kirkman, der seit über zwölf Jahren die Zombie-Serie „The Walking Dead“ schreibt. Parallel hat er mit „Outcast“ nun ein neues Projekt gestartet.
Kyle Barnes, die Hauptfigur, ist ein junger Mann, der nach Jahren der Abwesenheit in seine Heimatstadt zurückgekehrt ist. Einen guten Ruf hat er bei den Einwohnern nicht, da er seine Frau und seine kleine Tochter, die getrennt von ihm leben, schwer misshandelt haben soll. In Wahrheit verfügt Kyle über eine Gabe, die ihm erst nach und nach bewusst wird: Er kann Dämonen austreiben. Dies bringt ihn mit dem örtlichen Reverend zusammen und mit einem Polizisten, dessen Partner in einem Anfall schwerer Besessenheit zum Mörder geworden ist. Es macht Kyle zudem aber für einen Fremden interessant, der plötzlich auftaucht, einem nur scheinbar freundlichen, unterweltlichen Herrn, dessen Ziele vorerst in dem Dunkel bleiben, aus dem er kommt.
Mit „Outcast“ knüpft Kirkman souverän an eine sozialkritische Horrortradition an, wie sie sich etwa in den Filmen George A. Romeros findet. Das kalte, frühwinterliche West Virginia, in dem die Serie spielt, ist keine ländliche Idylle, nicht einmal eine trügerische, sondern ein Hort der gedämpften Verzweiflung. Der Noir-Touch von Paul Azacetas Zeichnungen – die ausgezeichnete Kolorierung stammt von Elizabeth Breitwieser – unterstützt den Eindruck, dass die Dämonen, von denen die Menschen heimgesucht werden, sich auch als Metapher für psychische Versehrungen begreifen lassen. Und deren Ursache sind unverkennbar gesellschaftliche Missstände: Niemand, gleich welchen Alters, kann sich hier anders als mit großer Mühe über Wasser halten; alle leben mindestens am Rande des Prekariats. Der Amerikanische Traum ist in „Outcast“ schon lange gründlich zerbrochen.
Ebenfalls in die nordamerikanische Provinz, in einen Ort mit dem Unheil verheißenden Namen Manson, führt Terry Moores aktuelle Serie „Rachel Rising“. Moore ist mit „Strangers in Paradise“ bekannt geworden, einer Reihe, an der von 1993 bis 2007 arbeitete. Während sich dort Soap-Opera- und Thrillerelemente bunt miteinander mischten, ist „Rachel Rising“ lupenreiner Horror.
Die Titelheldin erwacht eines Morgens, mit dem Gesicht nach unten, in einer Grube im Wald. Sie kämpft sich mühsam aus der Erde und taumelt heim. Was genau mit ihr passiert ist, daran kann sie sich nicht erinnern, aber offenbar hat jemand versucht, sie umzubringen. Dies war nicht erfolgreich, zumindest nicht ganz: Rachel lebt, obwohl sie, allen Anzeichen nach, biologisch so gut wie tot ist. Zeitgleich erscheint in Manson eine junge Frau namens Lilith, die bei jedem ihrer Auftritte Gewalt und Verderben provoziert. Sie ist vor 300 Jahren in Manson getötet worden, weil sie eine Hexe ist, und will an der kleinen Stadt furchtbare Rache nehmen.
Dieser Text ist zuerst erschienen in: taz
Robert Kirkman (Text), Paul Azaceta (Zeichnungen): Outcast, Band 1-2
Aus dem amerikanischen Englisch von Marc-Oliver Frisch.
Cross Cult, Ludwigsburg 2015/2016, Je 160 Seiten, Je 22 Euro
Terry Moore: Rachel Rising, Band 1-6
Aus dem amerikanischen Englisch von Resel Rebirsch
Schreiber & Leser Verlag, Hamburg 2014–2016, Je 128 Seiten, Je 14,95 Euro
(Alle Bilder aus „Rachel Rising“: © Schreiber & Leser)