Die Frau im Spiegel

Ein Versuch über Douglas Sirk anlässlich der Gesamtretrospektive im Zeughauskino
von Nicolai Bühnemann

Am Ende landet die Liebe ziemlich buchstäblich im Müll. Und für den Mann, der die femme fatale zunächst geküsst, später erdolcht hat, weil er sich der Besessenheit für sie, die seine ganze Existenz zu durchdringen, zu verderben schien, nur so meinte entledigen zu können, gibt es nicht mal einen Abgang in Würde. Basierend auf einem Roman von Anton Tschechow, dessen Handlung ins Russland der 1910er Jahre verlegt wurde, erzählt „Summer Storm“ (1944) die Geschichte der tödlichen Obsession eines Richters (George Sanders) für eine junge Frau aus armen Verhältnissen (Linda Darnell). Der Regisseur dieses Films heißt Douglas Sirk und war doch, als er entstand, noch nicht der Douglas Sirk, der später in die Filmgeschichte eingehen sollte. Zwar hatte der 1897 in Hamburg geborene Hans Detlef Sierck seinen Namen bereits amerikanisieren lassen, als er 1937 – also einige entscheidende Jahre, in denen Sirk, der ursprünglich vom Theater kam, bereits als Regisseur unter anderem für die Ufa arbeitete, später als die meisten seiner Exil-Kollegen – mit seiner jüdischen Frau aus Nazideutschland, mit Stationen über Frankreich und Holland in die USA floh, doch sein Name sollte sich erst in den Fünfzigern etablieren, durch eine Reihe von stilbildenden Melodramen, die der Regisseur für Universal realisierte: „There’s Allways Tomorrow“, „All That Heaven Allows“, „Written on the Wind“ oder „Imitation of Life“. Georg Seeßlen schreibt über das Genre: „Jedes Melodram erzählt eine Liebesgeschichte; das heißt, was sonst notwendiges Beiwerk ist (welcher populäre Film kommt ohne Liebegeschichte aus?), bildet hier das Zentrum. Die Liebesgeschichte des Melodrams wird zumeist aus der Perspektive einer Frau, zumindest aus einer „weiblichen“ Perspektive gesehen.“

Doch die „Frauen-Filme“, durch die der Regisseur berühmt werden sollte, kündigen sich bereits in seinen früheren Arbeiten an, so etwa auch in „Summer Storm“, der mitnichten so misogyn ist, wie es die Tagline auf der DVD befürchten lässt: „The most beautiful woman that God ever forgot to put a soul into!“ Besagte Frau will erst einmal einfach nur raus aus dem Elend, aus der kargen Hütte, die sie mit ihrem Vater und einer Ziege bewohnt (und wenn ihr bärtiger Vater, als sie nachhause kommt, mit der leeren Flasche in der Hand lallt, sie möge ihm einen Kuss geben, ist das wohl der deutlichste Hinweis auf sexuellen Missbrauch, den sich ein amerikanischer Film zur Zeit des Hays Codes erlauben konnte). Sie, die sich geradezu kindlich freut über ihr erstes Paar Stiefel, das ihr einer ihrer vielen Verehrer schenkt, weiß, dass ihr einziges Kapital ihre Schönheit, ihre enorme Wirkung auf Männer ist. Und die Männer, ob ein etwas wohlhabenderer Bauer oder Vertreter einer betont dekadenten, champagnerschlürfenden Aristokratie, verfallen ihr denn auch wie die Fliegen. Im Kern mag dieser Film noch die Tragödie eines zynischen Mannes sein, der sich seinem Begehren für die „falsche“ Frau nur durch Mord entledigen kann. Bei der Zeichnung seiner zentralen Frauenfigur aber ringt er dem Mythos vom männerverschlingenden Vamp, dadurch dass er ihr Motiv ernst nimmt, einige Ambivalenzen ab.

War Sirks erster amerikanischer Film „Hitler’s Madman“ (1943), in dem es um die Verbrechen des SS-Obergruppenführers Reinhard Heydrich (John Carradine) in der besetzten Tschechoslowakei geht, den Anschlag auf ihn und die grausame Vergeltung des Regimes, noch seine deutliche Abrechnung mit der Nazidiktatur, widmete er sich in den weiteren Vierzigern überwiegend dem Film Noir – wie einige andere deutsche Exilanten, die halfen, das amerikanische Kino dieser Zeit entscheidend mitzuprägen. Die Hinwendung zu dieser Strömung beginnt vielleicht mit „Summer Storm“, der zugleich der erste von drei Filmen des Regisseurs war, in denen George Sanders die Hauptrolle spielte – auch wenn der Plot hier einem Werk der russischen Literatur entlehnt ist und nicht in einer amerikanischen Groß-, sondern einer russischen Kleinstadt spielt.

Ein wahres Meisterstück des Film Noir, das, wie jeder gute Genrefilm, die Regeln des Genres nicht nur erfüllt, sondern transzendiert, ist ihm mit „Sleep, My Love“ („Schlingen der Angst“, 1948) gelungen. Im Plot geht es um Betrug, Untreue, Liebe und Mord und Hazel Brooks spielt eine betont unterkühlte und biestige Bilderbuch-femme fatale. Aber dann gibt es da eben noch eine andere Frau, Alison Courtland, Claudette Colbert gibt sie als wahre Menschenfreundin in Schwierigkeiten, deren Perspektive der Film ab den ersten Szenen einnimmt, in denen sie sich in einem Zug vom heimatlichen New York nach Boston wiederfindet, ohne zu wissen, wie sie hier hingekommen ist. Der Film hat vier Protagonist_innen, die drei Paare bilden, von denen eines wohl seit längerem nur noch von den ehelichen Banden zusammengehalten wird, während die anderen beiden zunächst keine werden dürfen, weil sie durch eben diese Bande nicht legitimiert werden, sondern ihnen entgegenstehen. Nur in der Geschichte um Mr. Courtland, der versucht seine Frau zunächst in den Wahnsinn, schließlich in den Tod zu treiben, um es sich mit dem Geld, das sie in die Ehe brachte, und Daphne (Brooks) gut gehen zu lassen, handelt es sich um einen Film Noir. Dem gegenüber steht ein Liebesfilm um Allison und den wort- und weltgewandten, humorvollen Bruce Elcott (Robert Cummings), den sie auf ihrem ungewollten Trip nach Boston kennenlernte. Exemplarisch wird diese Konstellation in einer Szene, die beide Paare parallel montiert: Daphne und Mr. Courtland sehen wir sichtlich angespannt bei Champagner in einer zwielichtigen Bar (also einem Noir-Ort par excellence), während Allison und Bruce es sich bei Reiswein auf einer chinesischen Hochzeit so richtig gut gehen lassen.

Wie in seinen späteren Melodramen wird die Ehe hier nicht zum Hort des Glückes, sondern steht diesem diametral entgegen. Verbildlicht wird das in dem Ungeheuer von einem Haus, das die Courtlands bewohnen. Das Treppenhaus, durch das am Ende spektakulär jemand stürzen wird, scheint vor allem da zu sein, um gitterartige Schatten zu werfen. Ihren Wintergarten bezeichnet Allison einmal als Dschungel, und in einigen Außenaufnahmen erscheint das Haus, in dem sich Schreckliches ereignet, als Spukschloss. (Eine pikante Pointe des Films besteht übrigens darin, dass sich auch ein (falscher) Psychiater an der buchstäblichen Pathologisierung der Frau beteiligt – und mag man in dessen Namen Dr. Rhinehart gar eine Anspielung auf Reinhardt Heydrich sehen?) Schlussendlich erzählt „Sleep, My Love“ auch von einer, nach Seeßlen, sehr typischen Melodram-Bewegung, nämlich der „von der alten zur neuen Familie […], von der partriarchalischen zur, wenn man so will, liberalen Familie.“

Der bereits ein Jahr zuvor entstandene „Lured“ („Angelockt“) ist ein in London angesiedelter Whodunit, in dem die von Lucille Ball gespielte Protagonistin zunächst als Tänzerin in einem Nachtclub arbeitet (und der Tanz mit Männern gegen Geld erinnert nicht nur an selige Pre-Code-Zeiten, sondern ist wohl auch der deutlichste Hinweis auf Prostitution, der einem amerikanischen Film zur Zeit des Hays Codes durchgehen konnte), was sie auch in eine Reihe stellt mit der Zarah Leander-Figur in „Zu neuen Ufern“ (1937) und der ebenfalls eher prekär im Show Business beschäftigten Barbara Stanwyck-Figur in „All I Desire“ („All meine Sehnsucht“, 1953). Sie wird vom Scotland Yard engagiert, um einem dichtenden, Baudelaire verehrenden Serienkiller auf die Schliche zu kommen, der es auf junge hübsche Frauen abgesehen hat und den sie finden soll, indem sie Annoncen in die Zeitung setzt. Die Schwarz-Weiß-Fotografie des Films mit ihren expressionistischen Licht-Schatten-Spielen ist durchgehend eine Pracht. Der absolute Höhepunkt ist aber wohl der Auftritt von Boris Karloff als wahrlich unheimlicher Modeschöpfer, der als einer der ersten auf die Anzeigen reagiert. Der Mann, der einst wahnsinnig wurde, als man ihm seine entscheidende Kreation und damit seine Karriere stahl, lässt Ball nun vor einer Gesellschaft, die aus Schaufensterpuppen und einem ausgesucht hässlichen, mit „Eure Exzellenz“ angeredeten Hund besteht, ebendiese Kreation vorführen. Hier kochen die Neurosen, die Paranoia und die Perversionen hoch, dass Freud seine wahre Freude gehabt hätte.

Seine Noir-Phase beschloss Sirk am Ende der Vierziger mit einem Film, der nach dem Drehbuch eines anderen Hollywood-Veteranen entstand, dessen Werk sich von dem seinen – zumindest auf den ersten Blick – kaum mehr unterscheiden könnte, nämlich Samuel Fuller. Jedoch wurde Fullers Drehbuch „The Lovers“ für den schließlich „Shockproof“ (1949) betitelten Film umgeschrieben, und Sirk war mit dem wohl wesentlich glücklicheren Ende des fertigen Films unzufrieden.


Szenenfoto aus „La Habanera“ (© Universum Film)

Doch machen wir einen Sprung zurück, ins Deutschland der Dreißiger Jahre. „Zu neuen Ufern“ und „La Habanera“ (1937) sollen hier nicht interessieren als die Filme, mit denen Zarah Leander, die zu einer der größten Diven des „Dritten Reichs“ wurde, ihren Durchbruch in Deutschland feierte, sondern als Fingerübungen für die amerikanischen Melodramen, durch die Sirk berühmt wurde. Leander gibt in beiden Filmen die furchtbar leidende Frau als Gefangene der Verhältnisse. Und das in ersterem ganz buchstäblich: Wegen eine Scheckbetrugs, den sie auf sich nimmt, um die Militärkarriere ihres Freunde, des eigentlich Schuldigen, nicht zu gefährden, wird sie ins australische Gefängnis Parramatta deportiert. Der Film ist damit auch ein Vorläufer des Exploitation-Subgenres der women-in-prison-Filme. Ob die Filme, wie Kritiker immer wieder schrieben, subversive Elemente gegenüber der herrschenden Nazi-Ideologie enthielten, wie sie etwa Wolfgang Paul sah, für den in „den Frauengefängnissen in Australien […] das KZ [drinsteckt], fast lehrstückhaft“, ob die „Gesellschaft, in der Männer das Sagen haben und Frauen die Gefühle“ (Hans Günther Pflaum) tatsächlich eine Kritik am Patriarchat darstellt oder es sich doch um eine affirmative Festlegung des Status Quo handelt, sei dahin gestellt (für die gesellschaftskritische Lesart spricht immerhin, dass beide Filme nicht im Deutschland ihrer Gegenwart, sondern im England und Australien des Neunzehnten Jahrhunderts bzw. auf Puerto Rico spielen, also die Kritik, die sie üben, auf die Verhältnisse in fremden Ländern und vergangenen Zeiten beruhen, was sich auf die Zensoren beschwichtigend ausgeübt haben mag). Jedenfalls findet Sirk schon hier beeindruckende Bilder der Gefangenschaft, wenn er Leander immer wieder mit Moskitonetzen oder Geländern, die gitterartige Schatten werfen, in Tür- und Fensterrahmen oder Spiegelbildern (die später zu einem seiner Markenzeichen werden sollten) in den genau kadrierten Einstellungen einschließt. Den absoluten Höhepunkt stellt in dieser Hinsicht sicherlich der Webstuhl im Gefängnis dar, dessen Balken und Fäden die Bilder zu zerschneiden scheinen und so die Luft zum Atmen nehmen, was höchstens noch von der Einstellung am Ende von „All That Heaven Allows“ getoppt wird, in der Jane Wyman per Spiegelung in ihrem nagelneuen Fernseher eingeschlossen scheint.

Überhaupt: „All That Heaven Allows“, vielleicht Sirks endgültiges Meisterwerk, in dem er all die kritischen Tendenzen, die schon in seinen Leander-Filmen zumindest rudimentär angelegt waren, bis zu ihrem bitteren Ende fortdenkt. Und hier wird die Kritik ganz konkret, bekommt Ort und Zeit: das Kleinstadtamerika der Fünfziger Jahre. Und Rainer Werner Fassbinder, dessen Idol Sirk war und der sich vielleicht gerade an diesem Film orientiert hat, was sein Gespür für die bedrückende Enge bestimmter Milieus und für die Boshaftigkeit im Zwischenmenschlichen anbelangt, schreibt dazu: „Nach dem Film ist die amerikanische Kleinstadt das letzte, wo ich hinwollte.“


Szenenfoto aus „All That Heaven Allows“ (© Hanse Sound)

Jane Wyman spielt eine alternde Witwe (und die Leinwand leuchtet zu Beginn in herrlichem herbstlichen Technicolor, um zu verdeutlichen, dass das ganz und gar ihr Film ist), die sich in ihren wesentlich jüngeren Gärtner, den Naturburschen Rock Hudson verliebt. Eine Liaison, die den Argwohn, ja, die radikale Ablehnung ihrer beiden erwachsenen Kinder und den neureichen Kreisen des Ortes auf sich zieht, in denen sie sowieso schon eine Außenseiterin ist. Die patriarchale Instanz des bösen Vaters sieht Seeßlen in einigen Filmen Sirks „in einer so groteske[n] wie realistische[n] Sehweise […] in den Kindern der Heldinnen fortgeführt“. Umso pikanter ist es, dass die Tochter in einem fort psychologische Phrasen drischt, dazu ihre Brille abnimmt und den Bügel in den Mund steckt. Sie erleidet später einen regelrechten Zusammenbruch, was sie kaum sympathischer, aber doch immerhin menschlicher macht als ihren aalglatten, eine große Karriere in Übersee anstrebenden Bruder. Der Verzicht auf die eigenen Bedürfnisse, die eigene Sexualität, den die Kinder zunächst so vehement einfordern, wird Wyman später kaum gedankt, achselzuckend zur Kenntnis genommen. Es kommt zu einem Happy End, für das es eigentlich schon zu spät ist und bei dem auch ein Reh vor dem Fenster nicht fehlen darf.

Übrigens kehrte Sirk auf dem Höhepunkt seines Erfolges, Ende der Fünfziger, den USA und dem Filmschaffen den Rücken, ging nach Europa, wo er Regie am Theater führte, an einer Filmhochschule lehrte und 1987 verstarb, ohne jemals wieder einen langen Spielfilm gedreht zu haben.

Eigentlich hatte ich diesen Text begonnen mit dem Vorhaben, hauptsächlich über einige von Sirks unbekannteren, nicht „kanonisierten“ Filmen zu schreiben, also nicht die Handvoll berühmter Melodramen, mit denen sein Name immer noch hauptsächlich in Verbindung gebracht wird. Es ergab sich aber, dass Sirk auch in den Arbeiten, die vordergründig keine Melodramen war, ein Meister des Melodramatischen war. Dieser Text wird dem gesamten Werk des Regisseurs, der Komödien gedreht hat, Western, Musicals, nicht gerecht, vermag es aber vielleicht die Entwicklung einiger seiner typischen Motive nachzuvollziehen. Umso erfreulicher ist es, dass das Berliner Zeughauskino von Juli bis September 2016 eine Retrospektive zeigt, die mit einer einzigen Ausnahme alle Filme Douglas Sirks umfasst und so die Gelegenheit gibt, sein einmaliges Werk in seiner Gesamtheit zu entdecken und zwar, wie es sich gehört, von 35mm-Kopien.

Foto: © siehe Bildunterschriften; oben: Kinowelt/Arrthaus (Szene aus "Schlingen der Angst")