Das aktuelle Verlangen nach Superhelden und -heldinnen ist groß, vielleicht größer denn je. Da Marvel, solange die Kinos in großen Teilen der Welt geschlossen bleiben, seine Blockbuster jedoch weiterhin konsequent verschiebt, müssen die nach Heldenstoffen hungrigen Massen sich bis auf Weiteres mit deren neuen Serien auf der Streamingplattform Disney+ zufriedengeben. Oder mit der Neuauflage des Heldenteam-Blockbusters „Justice League“ vom Erzrivalen DC, die seit 18. März hierzulande auf Sky Ticket Cinema verfügbar ist. Selten gab es dermaßen Aufruhr um etwas, das unter dem Titel „Zack Snyder’s Justice League“ im Prinzip nur eine alternative Schnittfassung eines längst erschienenen Kinofilms darstellt.
Gerade director’s cuts haben eine lange und wichtige Tradition: Die Wiederveröffentlichung von besonders erfolgreichen oder kultigen Werken dient als retrospektiver Ritterschlag einer künstlerischen Vision, in deren Kinofassung übergriffige Studios oder Zensurbehörden übermäßig involviert waren. In einem prominenten Beispiel war 1992 ein angeblicher director’s cut von „Blade Runner“ (USA 1982) erschienen, der jedoch nicht von Regisseur Ridley Scott verantwortet wurde, weshalb dieser 2007 einen sogenannten final cut herausbrachte. Mittlerweile kommt director’s cuts, extended cuts, uncut versions oder ultimate editions ein fester Platz in der langen Verwertungskette und Marketingstrategie von Hollywood-Produkten zu, deren Versprechen auf bisher ungesehenes Material den einen oder die andere zum Kauf einer DVD (ja, manche Menschen kaufen noch physische Medien) eines bereits im Kino gesehenen Films verleiten soll. Dass nun der 2017 in den Kinos angelaufene und ziemlich unbeliebte „Justice League“ mit einer neuen Schnittfassung bedacht wird, deutet auf einen besonderen Sachverhalt neue Wege der Profitmaximierung zu erforschen.
Damals zog sich Regisseur Zack Snyder, als „Justice League“ so gut wie abgedreht war, aufgrund eines Todesfalls in seiner Familie vom unfertigen Projekt zurück. The Hollywood Reporter zufolge hatte Warner Bros. zuvor bereits enormen Druck auf Snyder ausgeübt und zu substanziellen Änderungen gedrängt: Nachdem „Batman v Superman: Dawn of Justice“ (USA 2016), Snyders vorheriger Eintrag in das sogenannte DC Extended Universe (DCEU), gleichermaßen Kritik, Fans und an den Kinokassen enttäuscht hatte, sah das Studio offensichtlich die Notwendigkeit, „Justice League“ das gleiche Schicksal zu ersparen. Zu düster und zu lang war der Vorgänger gewesen. Und so wurde „Avengers“-Regisseur Joss Whedon ins Boot geholt, um „Justice League“ Humor und Farbenfröhlichkeit einzuhauchen, wie sie für Kassenschlager des Konkurrenten Marvel kennzeichnend sind. Nach Snyders Rückzug übernahm Whedon schließlich offiziell das Ruder. Es folgten umfangreiche Nachdrehs; der erhoffte Erfolg blieb dennoch aus. Dem Resultat, das zeitweise im Minutentakt die Charakterwendungen eines Dr Jekyll und Mr Hyde vollzieht, waren die unterschiedlichen Handschriften so sehr anzusehen, dass schon bald Stimmen laut wurden, die Snyders ursprüngliche Vision des Films reklamierten.
Die unter dem Banner #ReleaseTheSnyderCut geführte Kampagne ist in einem Zeitalter, in dem soziale Medien sich als Sprachrohr für empörte Fangemeinden anbieten, nicht gerade unüblich. Nach einer vergleichbaren Twitter-Bewegung hatte Warner Bros. 2006 den director’s cut des ersten Regisseurs von „Superman II“ (USA/UK/Can/Fra 1980), Richard Donner, satte 26 Jahre nach der Kinofassung veröffentlicht. Dass ein Studio für die Fertigstellung einer neuen Schnittfassung noch einmal 70 Millionen Dollar in die Hand nimmt, stellt dagegen ein Novum dar. Grund dafür dürfte jedoch weniger die Hartnäckigkeit der Fans, als die aktuelle Situation auf dem Streamingmarkt sein, die gerne als ’streaming wars‘ beschrieben wird.
Im jetzigen Stadium des Konkurrenzkampfs um die Abonnenten geht es nicht so sehr um Profitabilität – Netflix schreibt bekanntlich seit Jahren rote Zahlen – als darum, sich einen möglichst großen Marktanteil zu sichern. Und obwohl Netflix bisher als eindeutiger Sieger dasteht, stellt sich die Frage, ob der Streamingdienst angesichts wachsender Konkurrenz und der fehlenden finanziellen Rückendeckung eines Großkonzerns, wie sie beispielsweise Amazon Prime Video oder AppleTV+ genießen, seine Position langfristig wird halten können. Disney+, seit Ende 2019 ebenfalls ein Player auf dem internationalen Streamingmarkt, verfügt neben der Unterstützung der allmächtigen Walt Disney Company über den Katalog aller Pixar, Star Wars, Marvel und 20th Century Fox Titel, die in den letzten 15 Jahren allesamt von der ‚Mouse‘ aufgekauft wurden. Bleibt noch HBO Max, der sich nach einem desaströsen US-Start vergangenes Jahr nicht richtig etablieren konnte und als Produkt von WarnerMedia wiederum zum US-Telekommunkationsgiganten AT&T gehört.
In diesem Jahr starteten Warner und AT&T eine neue Offensive, als sie unerwartet erklärten, dass alle Kinofilme von Warner Bros. 2021 zeitgleich auf HBO Max starten würden. Der damit losgetretene Shitstorm aus Hollywood und der Kinoindustrie sei ebenso wie der in Deutschland (unter anderem wegen der Kooperation mit Sky) verzögerte Start von HBO Max nur am Rande erwähnt. Vor diesem Hintergrund wird lediglich klarer, wie nach über drei Jahren der Snyder Cut von einer reinen Wunschvorstellung der Fans zu einer interessanten Investition für Warner wurde: Ein Film, um neue Abonnenten für HBO Max zu gewinnen, ohne dabei die Kinoindustrie weiter zu vergrämen, schließlich ist der Filme längst im Kino gelaufen. Zudem kann sich Warner auf die Kappe schreiben, etwas ‚für die Fans‘ zu tun, auch wenn darin wohl kaum ihr Hauptbeweggrund liegen dürfte.
Was bietet nun der neue cut? Die Handlung bleibt die Gleiche. Aber das ist so ziemlich das Einzige. Da angeblich keine der von Whedon nachgedrehten Szenen verwendet wurden, ist merklich weniger (schlechter) Humor dabei. So sind manche Szenen, die grundsätzlich das Gleiche erzählen, wie entsprechende Szenen in der Kinoversion, trotzdem anders inszeniert. Das gilt auch für die meisten Actionsequenzen, die anders getaktet wurden. Der Bösewicht Steppenwolf erscheint wiederum in einem komplett neuen Charakterdesign, sogar seine Stimme (Ciarán Hinds) wurde nochmal bearbeitet. Als solches bildet „Justice League“ ein einzigartiges Beispiel dafür, wie sehr heutige Blockbuster, angesichts der zunehmenden Verlagerung der Bild- und Weltengestaltung in die Hände hunderter Animationskünstler*innen, erst in der Postproduktion wirklich Gestalt annehmen. Mehr als 2000 ‚visual effect shots‘ sollen für diese Version überarbeitet oder komplett neu gestaltet worden sein, in die wiederum ein Großteil des 70-Millionen-Dollar-Budgets geflossen ist. Insgesamt ist der Snyder Cut viel dunkler, seine Farben blasser. So trägt auch Superman (Henry Cavill) auf einmal einen schwarzen Anzug. Der Soundtrack wurde ebenfalls vollständig ausgetauscht. Selbst das Seitenverhältnis ist ein anderes: im traditionellen 1:1,33-Format soll der Film sich nun den Proportionen der großen IMAX-Leinwände annähern, für die Snyder ihn ursprünglich wohl intendiert hatte. Dieses Format für einen Home-Release beizubehalten, obwohl der Film auf keiner normalen Kinoleinwand je so gelaufen wäre (weshalb die ‚zusätzlichen‘ oberen und unteren Bildausschnitte auch so gut wie nie zur Geltung kommen) ist in etwa so sinnvoll, als würde man jetzt die alte Röhre aus dem Keller hieven, um sich beim Schauen die schwarzen Streifen links und rechts vom Bild zu sparen.
Schließlich ist das Ganze mit einer Laufzeit von 242 Minuten mehr als doppelt so lang, wie zum Kinostart. Angesichts der Tatsache, dass für den Snyder Cut nur etwa fünf Minuten neues Material gedreht wurden, wird somit deutlich, auf wie viel Ablehnung Snyders Vorhaben damals bei Warner und Whedon gestoßen sein muss. Einer der größten Vorwürfe an die Kinofassung bestand in der fast ausbleibenden Charakterisierung der Heldenfiguren, die dem Publikum Grund gegeben hätte, hinter ihnen zu stehen. Entsprechend ist der Großteil der neuen Laufzeit einer Ausarbeitung der Charaktere gewidmet, von denen einige durch mehr Hintergrundgeschichte und erweiterte Dialoge erstmals wirklich Form annehmen. Dazu gehört auch Welteneroberer Steppenwolf, für dessen teuflisches Vorhaben es erstmals eine Form von Motivation gibt. Teammitglied Cyborg (Ray Fisher) hingegen avanciert durch das zusätzliche Material nicht nur zum Angelpunkt der Handlung, sondern auch zur emotionalen Pulsader des Films. Die rabiate Art, mit der er in der Kinofassung zu einer gehaltlosen Nebenfigur runtergeschnitten wurde, ist retrospektiv so unbegreiflich, dass sie seitens des Studios an Selbstsabotage grenzt.
Zweifelsohne ist „Zack Snyder’s Justice League“ ein besserer Film, als der 2017 erschienene Flickenteppich. Wohl kaum aber das von vielen Fans verkündete Meisterwerk, das ihnen jahrelang vorenthalten wurde. Zwar bekommen die einzelnen Held*innen eine eingehendere Charakterisierung oder zumindest etwas Interessanteres zu tun, ein wirklich teamkonstituierendes Moment, das sie als Gruppe zusammenwachsen ließe, bleibt jedoch nach wie vor aus. Ihre Allianz, bedingt durch die Abwendung des Weltuntergangs, begründet längst nicht die Einheit, als die sie im Schlussakt Seite an Seite auftreten und kämpfen. Hinzu kommen stellenweise enttäuschende visuelle Effekte, die den Möglichkeiten des heutigen Blockbuster-Kinos nicht gerecht werden. Auch ist Zack Snyders nun allgegenwärtige Handschrift nicht immer ein Segen. Nicht zuletzt kehren hier die oft befremdlichen Chorgesänge und exzessiven Zeitlupensequenzen wieder, die manch eine*r bereits aus seinem früheren Werk kennen dürfte.
Interessanter als die Frage, ob der Snyder Cut den Erwartungen gerecht wird oder nicht, ist eher die Form, in der er veröffentlicht wurde. Denn selbst wenn Snyder 2017 vom Studio Carte blanche bekommen und den Film bis zum Schluss verantwortet hätte, wäre er in dieser Länge nie im Kino angelaufen. Das hat weniger mit der Tatsache zu tun, dass ein Vierstünder für viele Zuschauer*innen per se zu lang für eine Sitzeinheit wäre, als mit rein wirtschaftlichen Gründen. Eine derartige Laufzeit bedeutet für Kinos weniger Vorstellungen pro Abend und stellt auch bei einem beliebten Film trotz Überlängeaufpreis dessen Rentabilität an der Kinokasse infrage. Alleine deshalb würde ein Blockbuster in der Regel die drei Stunden Marke nicht überschreiten. In dieser Hinsicht unterliegt „Zack Snyder’s Justice League“ einer anderen Logik als der des Kinomarktes. Der des Streamings nämlich, wo nicht weniger mehr ist, sondern mehr mehr.
„Zack Snyder’s Justice League“ ist nur das jüngste Beispiel zahlreicher Blockbuster-Vehikel, die zunehmend die Struktur des klassischen Erzählfilms aushebeln. Ein Trend, den filmische Universen mit ihren endlosen Querverweisen perfektioniert haben. Besonders Marvels Cinematic Universe hat mit der Etablierung sogenannter Postcredit-Szenen den zunehmend fragmentarischen Charakter des Spielfilms vorangetrieben, der nach seinem Ende nochmals in Relation zu einem größeren Medienuniversum gesetzt wird, den nächsten Beitrag bereits einläutet und kein abgeschlossenes Einzelwerk mehr darstellt. Mit der (kommerziell) erfolgreichen Zweiteilung der letzten „Avengers“-Erzählung („Infinity War“ und „Endgame“ sind zwei Teile einer Geschichte, jeweils 2018 und 2019 unter Ägide der Russo Brüder erschienen) wurde diese Entwicklung auf einen vorläufigen Höhepunkt gebracht. Während Marvel seither daran arbeitet, zunehmend Serien in seinen kinematographischen Kanon einzuarbeiten, schien das DCEU nach dem Misserfolg von „Justice League“ und dem anschließenden Zerwürfnis mehrerer Darsteller mit Warner für tot erklärt.
Umso verwunderlicher ist es, wie viele andere Filme in den Snyder Cut überzuschwappen scheinen. War „Batman v Superman“ noch der Versuch, drei Filme in einem zu erzählen, lässt sich die Anzahl der Filme nur schwer zählen, auf die hier verwiesen wird und die womöglich nie das Licht der Welt erblicken werden. Neben mehreren Andeutungen zu einem „Batman“-Film, der zumindest mit Ben Affleck in der Titelrolle wohl nie Zustande kommen wird, bekommt man hier in Häppchenform scheinbar verlegte Szenen aus dem bereits erschienenen „Aquaman“ (USA/Aus 2018; R: James Wan) und einem möglichen „Flash“-Film serviert, sowie aus einem vermeintlichen „Justice League 2“ (oder sogar 3?). Dass gerade im Epilog mehrere solcher Szenen fast willkürlich aneinandergereiht werden, wozu auch die fünf Minuten neugedrehtes Material gehören, deutet auf die Absicht, sei es Snyders oder Warners, das DCEU nun wiederzubeleben. Ob das so einfach wird, wie mit Superman, bleibt fraglich.
Zumindest könnte darin ein weiterer Beweggrund für die Investition in den Snyder Cut liegen. Sowie auf Twitter #ReleaseTheSnyderCut bereits durch #RestoreTheSnyderVerse abgelöst wurde, fühlt sich die Fangemeinde dazu berufen, die Fortführung dieses Universums einzufordern. Dass die gleichen Fans, die gerade ihr Durchsetzungsvermögen gegen einen Großkonzern feiern, dem Studio dabei mit ihrem Geldbeutel winken, birgt einen bitteren Beigeschmack. Schließlich ist der Snyder Cut nicht nur Zeugnis dafür, wie sehr heutige Blockbuster-Filme erst in der Postproduktion wirklich Form annehmen. Zusätzlich wird die ‚fix it in post‘-Mentalität hier nochmal eine Stufe höher geschraubt und zum ‚fix it after the release‘, das in der Videospielindustrie traurigerweise längst zur Normalität geworden ist. Dort hatte zuletzt das lang erwartete und wiederholt verschobene „Cyberpunk 2077“ für große Aufregung gesorgt, als es voller Bugs und in einem teilweise unspielbaren Zustand erschienen war. Besonders haarsträubend ist dabei, dass das Spiel bereits durch seine Vorverkaufszahlen die Produktions- und Marketingkosten wieder eingespielt hatte, während es noch Monate nach seiner Veröffentlichung regelmäßige Patches braucht. Den Blockbuster angesichts seiner quasi unbegrenzten Überarbeitungsmöglichkeiten im digitalen Zeitalter den publikumsverachtenden Praktiken der Gaming-Industrie anzunähern, ruft ein ebenso schauriges wie lukratives Szenario hervor: Die Kinofassung als ‚early access‘ Testversion, die Vollversion gibt es dann nur mit Streamingabo, in Blöcken über ein Jahr verteilt, für den kompletten Charakterbogen der Lieblingsfigur braucht es noch einen Premiumaccount. Dass Fans dazu bereit sind, für die ‚reparierte‘ Fassung eines Films ein zweites Mal zu zahlen, sendet jedenfalls ein fatales Signal an jene großen Medienkonzerne, die darin die neuste Waffe im Krieg der Streams erblicken könnten.