„Was weiß das Kino, was wir nicht wissen?“, fragt der Filmkritiker und Filmemacher Rüdiger Suchsland in seinem neuen Film „Hitlers Hollywood“. Mit dem Filmsoziologen und Ideologiekritiker Siegfried Kracauer als Gewährsmann ist er sich darin einig, dass Filme als Seismographen ihrer Entstehungszeit fungieren und mithin mehr zeigen als sie zu zeigen vorgeben. In diesem Sinn sind sie Indikatoren für das kulturell Unterbewusste einer Epoche und Transportmittel für gesellschaftliche und politische Ideologien. Und das umso mehr, so Suchslands zentrale These, als sich das „Dritte Reich“ „als einziger großer Film“ des kollektiven Unbewussten verstehen lässt, dessen Träume auch heute noch lebendig sind. Tatsächlich produzierte die Traumfabrik des NS-Kinos zwischen 1933 und 1945 über tausend Spielfilme. „Es wollte um jeden Preis groß sein“, sagt Rüdiger Suchsland in seinem inspirierenden Essayfilm über dieses „zweite Hollywood“, das „theatralisch, illusionistisch und monumental“ war und sich zwischen Weltflucht und Indoktrination bewegte.
Im „Gesamtkunstwerk des ‚Dritten Reiches‘“ kam dem Film als Propaganda und als Kommunikationsmittel zur Eroberung der Massen insofern eine entscheidende Bedeutung zu. Dass die Propaganda selbst Kunst war und die Filme aus dieser Zeit „besser sind als ihr Ruf“, zeigt Suchsland anhand vieler Filmausschnitte und ihrer jeweiligen Analyse. Chronologisch und im permanenten Austausch mit den geschichtlichen Zeitläuften, auf die das Unterbewusste des Kinos mit seiner Ambivalenz zwischen Zeigen und Verbergen reagiert, lässt Suchsland das filmische Material sprechen, ohne die einzelnen Dokumente in der Montage scharf voneinander abzugrenzen. Sein Film ist damit selbst eine Inszenierung, die weniger auf die Durchdringung des Einzelnen als Teil des Ganzen zielt, sondern allgemeine Begriffe in den Blick nimmt. Mit Hannah Arendt folgt „Hitlers Hollywood“ der „Konsistenz der Illusion“ und mit Susan Sontag der „Geschichte als Theater“.
Wie die Politik ästhetisiert wird, sich das Individuelle in der ornamentalen Choreographie der Masse auflöst und die Rituale von Aufmärschen als Ersatz-Gottesdienste fungieren, vermitteln diverse Szenen aus Leni Riefenstahls berühmt-berüchtigtem Film „Triumph des Willens“ (1934). Doch die „Ästhetik der Verführung“ und die „Gleichschaltung durch Verzauberung“ sind – gewissermaßen subkutan – vor allem im populären Mainstreamkino der Zeit wirksam. Rüdiger Suchsland untersucht die „totalitäre Propaganda“ (Kracauer) von der Mobilmachung in Hans Steinhoffs Film „Hitlerjunge Quex“ (1933) bis zur mythischen Todessehnsucht und dem heroischen Opferkult in Filmen des „Auteurs und Nationalsozialisten“ Veit Harlan. Dazwischen findet er sogenannte „Legitimationsfilme“, die das Kriegsgeschehen begleiten und rechtfertigen, antisemitische Hetzfilme (wie „Der ewige Jude“ von Fritz Hippler), die sich als „filmischer Mordaufruf“ und als propagandistische Vorbereitung des Holocaust verstehen lassen, sowie „Durchhalteschmonzetten“ und „Urlaubsfilme“.
Im Zentrum von „Hitlers Hollywood“ steht insofern vor allem der Illusionismus der nationalsozialistischen Traumfabrik. Getragen von zahlreichen Stars (zu denen u. a. Hans Albers, Brigitte Helm, Heinrich George, Zarah Leander und Ilse Werner gehören), beschwört dieser Naturidyllen und eine heile Welt, sucht Ablenkung in Abenteuern an exotischen Schauplätzen, huldigt dem Vergessen durch einen forcierten Eskapismus sowie durch irreale Gegenwelten und zelebriert schließlich die Lust am Untergang. Dass es jenseits dieser offensichtlichen oder versteckten Propaganda auch Filme gab, die den Zuschauer nicht sedieren wollten, sondern etwas von jener Wirklichkeit und Intimität zeigten, die bald darauf verloren waren, thematisiert Rüdiger Suchsland anhand einiger Filme von Helmut Käutner. Die schillernde Arbeit des charismatischen Schauspielers Gustav Gründgens steht schließlich exemplarisch für die schwierige Gratwanderung zwischen Kollaboration und Widerstand. In den Nischen der Macht, so könnte man sagen, findet die Wahrheit der Kunst doch noch zu ihrem zwar verleugneten, aber beständigen Recht.