Von Drogennehmen und Discotanzen bis Rucksackreisen und Kochen: Das Kino war an sich stets gut darin, diverse Freizeittrends in Form von Filmdramen oder -satiren abzubilden. Schwerer allerdings tut es sich bei heutigen Netz-affinen Formen trendiger Bespaßung: Für die ist das Kino schlicht zu langsam und zu eitel. Soll heißen: Eine Romantic Comedy im Pokémon-Jagd-Milieu würde wohl erst in Produktion gehen, wenn der betreffende Hype längst Historie ist. (Das Kino taugt eher für ein Retro-Film-Vehikel, das 2026 den Monstersommer 2016 verkultet.) Und außerdem zeigt die Leinwand gern etwas, das im großen und ganzen schöner (beeindruckender, krasser) ist als all die Laptop-, Tablet- oder Handy-Screens. Der Vorjahrsschocker ‚Unfriended‘ (bzw. ‚Unknown User‘), der nichts als ein Rudelskype-Monitormenü im Bild hatte, war zwar irgendwie mutig – aber auch irgendwie nervig.
‚Nerve‘, ein Hollywood-Teen-Thriller mit Twen-Besetzung, geht eine vergleichbare Sache flexibler an, zeigt mit zunehmender Laufzeit weniger Splitscreens, Popups, Bildglitches und mit User-Kommentaren betextete Hochhauspanoramen. Die Story: Highschoolkids aus dem Speckgürtel der großen Stadt verstricken sich in New York in die titelgebende Gameshow aus dem (wuuuh!) Darknet. Das Spielprinzip: Weltweite Watchers verlangen einigen Players stets neue, live zu übertragende Mutproben ab – Fremden-Mann-Küssen, Luxuskleid-Klauen, Gerüst-Kraxeln. (Sogar ein Tattoo lässt die Heldin sich stechen – auf Geheiß der vielen, die ihre Direktiven an sie ins Spiel reintippen.)
Das ist so simpel wie die Bildungsroman-Logik (Unsichere Strebermaus reift unterm Beifall ihrer Nerve-Followers zur Badassbitch und sag’s der Divafreundin voll rein), das Action-Calvarium und die mittelschuldebattenkompatible Voyeurismus- und Geltungssuchtschelte im auf Gladiatorenarena gemünzten Finale. (Da schauen wir uns aber, bitte, zuerst lieber ‚The Purge‘ an und diskutieren den in legerer Runde ohne Prüfungszwang, liebe*r Frau Deutsch- bzw. Herr Ethik-Lehrer.) Am Ende wird dann auch ein bissl geschossen: Insgesamt aber ist der von Henry Joost und Ariel Schulman nach einem Erfolgsroman von Jeanne Ryan gedrehte Film merklich arm an Cyberthriller-typischen Gewaltmomenten und wohl für Zielgruppen gedacht, die eben dem ‚Ice Age‘ entwachsen sind, von den Erzählungen ihrer älteren Geschwister Hunger auf Filme mit Games – und mit verliebten Heldinnen – gekriegt haben, aber noch von Altersfreigaberegelungen umhegt sind. Zumindest im Kino.
Und doch: Aus den an sich banalen Mutprobensituationen entsteht da und dort mal so etwas wie Spannung, der Quasi-Echtzeit-Plot (einige Handy-gehetzte Nachtstunden) macht ein wenig Sog, der Dreamy Disco-Score ist irgendwann so entwaffnend wie die Romanze von Emma Roberts (als Komikerin besser) mit Dave Franco (Bruder von James, mit mehr Muckis und Tom Cruises Mund), und das Neonbunt im Styling ist Nicolas Winding Refn mit menschlichem Antlitz. Vielleicht wird diesem Film dereinst so etwas wie Prägnanz nachgesagt werden in Sachen einer (diffus skeptischen) Bildformung der Durchdringung jugendlichen Lebens und städtischer Ambiente mit sozialen Hetzwerken. Und für die Oldies (die schon dabei waren, als digital kapitalisierter Alltag noch Virtual Reality hieß) gibt’s die einst grungige Juliette ‚Strange Days‘ Lewis in der Rolle einer Krankenpflegerin und Mutter.