Was sich in „Ant-Man“ (USA 2015; R: Peyton Reed) und den Iron-Man-Teilen immer wieder angedeutet hat, wird in „Deadpool“ zur Gewissheit: Um von erzählerischer Phantasielosigkeit abzulenken, werden die schweren Geschütze ironisch verklärter Selbstreflexion aufgefahren. Doch die dauerhafte Anwendung dieses Stilmittels unterstreicht die tesafilmdünne Geschichte um einen weiteren (Anti)Helden des leider unerschöpflichen Marvel-Strumpfhosenensembles in ihrer Durchsichtigkeit nur noch schärfer, als dass sie sie verschleiern könnte.
Nach einer Karriere als Special-Forces-Kämpfer verdingt sich Wade Wilson (Ryan Reynolds) als Söldner mit ziemlich losem Mundwerk. In seiner Stammkneipe trifft er eines Tages auf Vanessa (Morena Baccarin) und die große Liebe nimmt ihren an den Pornofantasien des Regisseurs geschulten Lauf. Als bei Wade Krebs diagnostiziert wird, bietet ein ominöser Anzugträger seine Hilfe an und Wade unterzieht sich einem riskanten Experiment im Labor des skrupellosen und wenig charismatischen Ajax (Ed Skrein). Ajax will mit seinen Experimenten jedoch nur die verborgenen Mutantenkräfte seiner Versuchsobjekte zu Tage fördern. In Wade Wilsons Fall sind das enorme Selbstheilungskräfte. Den Krebs kann Wade damit besiegen, doch haben die Nebenwirkungen der Mutation ihn zugleich so sehr entstellt, dass er seiner Freundin nicht mehr unter die Augen treten will. Stattdessen schlüpft er in ein knallenges Superheldenkostüm und macht als Deadpool sodann Jagd auf Ajax, um ihn dazu zu bringen, die Mutation rückgängig zu machen.
Während sich die Bilder eines sichtlich erschöpften Blockbusterkinos lauwarm über den Zuschauer ergießen, wendet sich Protagonist Wade alias Deadpool getreu den Comicvorlagen mit Kommentaren zum Geschehen wiederholt ans Publikum. Augenzwinkernd macht sich Ryan Reynolds über sich selbst und seine verschiedenen Superheldenauftritte in anderen Filmen lustig, verspottet die aus der zweiten Reihe stammenden X-Men-Helden, die Wade für ihre Sache gewinnen wollen. Es sind Versuche mit Humor über sich selbst hinaus auf irgendetwas zu verweisen. Ein Außerhalb existiert jedoch nicht, weil „Deadpool“ bei aller Selbstreflexion und Selbstreferenzialität ein Gefangener seiner eigenen computergenerierten Welt bleibt. Mit einer Hauptfigur im Selfie-Modus ist „Deadpool“ ein Metafilm ohne Metaebene.
Seinen entsprechenden Ausdruck findet dieses nur noch auf sich selbst bezogene Burnout-Kino im Easter Egg. Auf Youtube lassen sich zu „Deadpool“ und anderen Comicverfilmungen neueren Datums zahlreiche Videos finden, die akribisch sämtliche Anspielungen unter dem Sammelbegriff Easter Egg auflisten. Mehr als einhundert sollen es in „Deadpool“ sein und die User überbieten sich geradezu mit immer neuen Funden. Die Bandbreite reicht dabei von Namen auf Straßenschildern über Cameoauftritte bis hin zu Ausstattungsgegenständen. Zwar ist das Easter-Egg, das seinen Ursprung als versteckter Scherz in Computerprogrammen (die „barrel roll“ der Google-Startseite beispielsweise) und Videospielen hat und somit direkt auf die Zielgruppe der heutigen Comicverfilmungen abzielt, dem Zitat verwandt. Allerdings sind die Verweisstrukturen des Easter Eggs gänzlich anders gelagert. Das (Bild)Zitat verweist als Hommage nicht nur auf Vorbilder. Als Spiel mit Genremustern und damit einhergehend demonstrativen Brüchen mit Erzählkonventionen stellt es eine Auseinandersetzung mit der Filmgeschichte und den Möglichkeiten und Notwendigkeiten filmischen Erzählens dar. Indem es Bezug nimmt, bietet es im besten Fall den Ausgangspunkt für eine Interpretation.
Das Easter Egg kommt ohne Sinnzusammenhänge dieser Art aus. Ihm ist ein Warum nicht eingeschrieben. Es steht damit dem geschichts- und narrationsarmen Gimmick, dem Werbegag in seiner Beschaffenheit deutlich näher als dem Zitat. Es verweist nicht über die Grenzen des eigenen Kosmos hinaus. Genau hierin liegt auch seine Funktion, denn es besteht eine direkte Verbindung zwischen Easter Eggs im Film und der Suche nach Pokemons im Videospiel. Beides zielt auf einen Menschen, der ganz Konsument ist, Waren unhinterfragt sammelt und das Konsumprodukt in einen weiteren Konsumzusammenhang zu stellen bereit ist. Denn einmal gefunden lässt sich mit Easter Eggs und Pokemons nicht mehr viel anstellen, außer den Fund an sich zu verbalisieren. Finden und Sammeln sind Addition ohne die anschließende Möglichkeit für eine Erzählung und somit Bedeutung. Die Demonstration des Additiven in Youtube-Videos kommt folglich nicht nur dem Selbstdarstellungsdrang der User entgegen. Die Videos stellen zugleich das langanhaltendste und kostengünstigste Marketing dar, das ein Filmverleih sich wünschen kann. Das Easter Egg bedeutet Ostern für den Filmverleih, der sich die Hände reibt, während die Zuschauer immer weiter suchen und eigentlich gar nichts finden.