Von schwebender Leichtigkeit sind Woody Allens Filme jüngeren Datums. Die Geschichten des überaus produktiven Altmeisters erscheinen wie hingetupft, ohne dramatische Tiefe oder gar bewegende Innerlichkeit. Mit kalkulierter, fast mechanischer Flüchtigkeit webt er Ideen zu einem Netz vager Beziehungen, die weder Halt noch Festigkeit haben und die sich ganz schnell verändern können. An der Oberfläche der Dinge dominieren vorläufige, ephemere Möglichkeiten. Deren realistische Echtheit ist nur eine filmische Behauptung, ein Trick der Illusion. Allens Filme konstituieren eine Traumwelt, aufgeladen mit allerlei Romantizismen eines sensiblen, neurotischen und liebebedürftigen Künstler-Egos. In seinem neuen Film „Irrational Man“ wird diesbezüglich ein Philosophieprofessor zur Projektionsfläche. Ziemlich ironisch und doppelbödig, witzig und charmant erzählt Allen darin vom fast perfekten Mord.
Natürlich ist Raskolnikow aus Dostojewskijs „Schuld und Sühne“ dafür die Referenzfigur. Doch bevor es zur Wende im Leben unseres „irrationalen Mannes“ namens Abe Lucas (Joaquin Phoenix) kommt, muss er sich erstmal an der „kontinentalen“ Philosophiegeschichte, und zwar vornehmlich am europäischen Existentialismus von Kirkegaard bis Sartre abarbeiten. Woody Allens augenzwinkernder Diskurs über die Notwendigkeit und Hinfälligkeit der Vernunft, über Kants kategorischen Imperativ und die Freiheit des Handelns liefert den Subplot für einen Helden, der gefangen ist zwischen grauer Theorie, der – so sein Tenor – „verbalen Masturbation“ seines Faches und einer ersehnten, aber verloren gegangenen Praxis des Handelns. Allem vorausgehend und übergeordnet ist jedoch Abes „Krankheit zum Tode“, die ihn zu einer „verlorenen Seele“ macht; diese changiert zwischen romantischer Sehnsucht und Selbstzerstörung, brillanter Intelligenz und Alkoholismus.
Abes Weltschmerz und Lebensüberdruss, die von einer Schreibblockade und Erektionsstörungen begleitet werden, finden ihren schönen Kontrast in der heilen, lichtdurchfluteten und sehr intimen Uni-Welt eines fiktiven amerikanischen Ostküstenstädtchens in Rhode Island. Die Ideale der Lehre und die Geographie des Lebens und Lernens sind in dieser Campus-Idylle, die Darius Khondji in fließenden Kamerabewegungen einfängt, aufs glücklichste vereint. Doch der allseits bewunderte Abe Lucas, der früh seine Mutter und später unter traumatischen Umständen seinen besten Freund verlor, ist zutiefst unglücklich und findet kaum noch Geschmack am Leben. Die Avancen seiner lebenshungrigen Kollegin Rita Richards lassen ihn weitgehend kalt; und in der Verliebtheit seiner ebenso hübschen wie intelligenten Studentin Jill Pollard (Emma Stone) will er zunächst nur jugendliche Schwärmerei sehen.
Doch ein gedehnter Augenblick dieses „turbulenten Sommers“, der von Abe und Jill aus dem Off erzählt wird, verändert alles. In einem Diner belauschen die beiden zufällig das Gespräch am Nebentisch, in dem sich eine geschiedene Frau und Mutter bitter und verzweifelt über einen ungerechten Richter namens Spangler beklagt. Dieser vertritt als Vorsitzender in einem Sorgerechtsstreit mit grober Parteilichkeit die Interessen ihres Ex-Mannes und will diesem die Kinder zusprechen. Noch während Abe Lucas, gleichermaßen aufgewühlt und sinnierend, zuhört, entwickelt er, von einem starken „Bauchgefühl“ beflügelt, Mordphantasien. Ist es etwa nicht geradezu notwendig, durch die Ermordung eines schlechten Richters die Welt ein bisschen besser zu machen?, fragt er sich. Und gibt es diesbezüglich nicht sogar eine moralische Pflicht zum Handeln? Schon durch den in ihm reifenden Plan, der den perfekten Mord zum kreativen Akt stilisiert, gewinnt der Philosophielehrer eine neue, längst verloren geglaubte Lebendigkeit zurück. Und nach der mit kalter Berechnung vollzogenen Tat nimmt sein jetzt rauschhaft gesteigerter Lebenshunger noch zu: Abe fühlt sich erfüllt und befreit und „wiedergeboren“. Er widersteht nicht länger Jills Liebeswerben, blüht sexuell auf und gewinnt, wie er sagt, die Kontrolle über sein Leben zurück.
Einmal wundert er sich im Gespräch mit Jill über die Ironie des Lebens, die sich im ebenso plötzlichen wie unverhofften Wechsel von Dunkelheit und Licht vollzieht. Woody Allen, der demnächst achtzig Jahre alt wird, übersetzt mit gewohnter Beiläufigkeit diesen ambivalenten, nicht zuletzt vom Zufall bestimmten Wechsel in die Ironie seines Films. Dieser mündet zwar in einem schwarzen Abgrund, seine Leichtigkeit, vom luftig-perlenden Jazz des Ramsey Lewis Trios getragen, wird davon jedoch kaum berührt.