Die Vorspanntitel wechseln im Rhythmus eines klickenden Diaprojektors, der später in Andrew Haighs preisgekröntem Film „45 Years“ noch eine wichtige Rolle spielen wird. Dieser subtile Verweis auf eine aus der Zeit gefallene Bildermaschine, die im Übrigen längst auf dem Dachboden gelandet ist, signalisiert auf diskrete Weise sehr früh die Rückkehr der Vergangenheit in das gleichförmige, beschauliche Leben eines älteren Ehepaares. Zugleich ist daran das Thema der Bilderlosigkeit angeschlossen: Denn die seit 45 Jahren andauernde Ehe von Kate (Charlotte Rampling) und Geoff Mercer (Tom Courtenay), die bereits in ihren Siebzigern sind, ist nicht nur ohne Kinder, sondern auch weitgehend ohne Fotos geblieben. Dass das eine mit dem anderen zu tun haben könnte, deutet der hervorragend gespielte (wofür es gleich zwei silberne Berlinale-Bären gab) und inszenierte Film an. Denn irgendwann und in aller Heimlichkeit begegnet Kate einem Dia, das eine schwangere Frau zeigt oder vielleicht auch nur eine Geste, die auf eine Schwangerschaft hindeuten könnte; und sie wird davon irritiert und zutiefst erschüttert.
Bei der jungen, nur schemenhaft erkennbaren Frau auf dem Bild, dessen Projektion auf eine Ebene zur Betrachterin, also in eine Einstellung gesetzt wird, handelt es sich um Geoffs frühere Verlobte Katya. Die Ähnlichkeit der Namen sowie der äußeren Erscheinung lassen in Kate weitere beunruhigende Ahnungen wachsen. Auslöser für das bis dato verdrängte Gespräch zwischen dem sehr vertraut und liebevoll wirkenden Ehepaar über die frühere Geliebte ist ein Brief, in dem Geoff darüber unterrichtet wird, dass die Leiche seiner deutschen Freundin fünfzig Jahre nach einem tödlichen Unfall in den Schweizer Alpen gefunden wurde. Konserviert im Eis des Gletschers wie in einer Zeitkapsel, wird vor allem für den schon leicht gebrechlichen beziehungsweise tatterigen Geoff die Vergangenheit zur Gegenwart. Während er sich in Erinnerungen an eine Zeit verliert, die ebenso von Sorglosigkeit wie von Unbedingtheit geprägt war, steigt in Kate der beunruhigende Verdacht auf, sie sei zeitlebens für ihren geliebten Mann vielleicht nur eine Platzhalterin, gewissermaßen ein Ersatz gewesen; und dass möglicherweise ihr ganzes Leben unterschwellig von diesem schrecklichen Unglück beeinflusst worden sei.
Andrew Haigh verbindet diesen Diskurs über eheliche Vertrautheit mit einer stillen Betrachtung über die Zufälle, Relativitäten und Täuschungen des Lebens im blinden Unterstrom der Zeit. Diese Meditation artikuliert sich allerdings kaum offen, sondern nur in Details, leisen Andeutungen und nuancierten Zwischentönen, die das Unausgesprochene, emotional Unscharfe (und deshalb schwer auszusprechende) oder auch absichtlich Verschwiegene in Blicken und Gesten evozieren. Strukturiert ist der Film durch die Abfolge der Wochentage, an denen sich die Mercers auf die Party ihres 45. Hochzeitstages vorbereiten, während in ihrem Inneren fast unmerklich die seelischen Beben zunehmen und die melancholische Unruhe wächst. Gespiegelt wird diese Stimmung von einer weitläufigen, nebelverhangenen Landschaft im Herbst (gedreht wurde in den Norfolk Broads), durch die Kate mit ihrem Schäferhund Max allmorgendlich spazieren geht, bis sie gegen Ende der Woche wiederholt verschläft, also geradezu aus dem Tritt kommt.
Auch dies ist ein subtiles Zeichen unmerklicher Verschiebungen in einem äußerst behutsam gearbeiteten Film, den Andrew Haigh in langen Einstellungen, mit pointierten Schärfenverlagerungen und in einem ausgewogenen Wechsel von Nähe und Distanz gedreht hat. Die Perspektive seines ruhig erzählten Films gehört dabei Kate, auf deren nur scheinbar undurchdringlichem Gesicht die Kamera auch dann noch verharrt, wenn die pensionierte Lehrerin nur zuhört. Andrew Haigh und sein versierter Bildgestalter Lol Crawley haben ihren Film über die Abgründe der Erinnerung übrigens mit viel natürlichem Licht, den Geräuschen der Natur und auf neuerdings „altmodischem“, noch nicht ganz aus der Zeit gefallenem Zelluloid realisiert.