Der Leichnam einer schönen jungen Frau wird geschminkt, in ein Hochzeitskleid gehüllt und in einen weißen Sarg gebettet. Dazu läuten Kirchenglocken, die von Wagners sogenanntem „Hochzeitsmarsch“ abgelöst werden. François Ozons neuer, provozierend abgründiger Film „Eine neue Freundin“ beginnt mit einer Beerdigung, der trotz des Schmerzes Zeichen des Neuanfangs eingeschrieben sind. Claires (Anaïs Demoustier) beste Freundin („für immer und ewig“) Laura (Isild Le Besco), gerade Mutter geworden, ist gestorben. Ozon erzählt die rund zwanzig Jahre dieser Freundschaft, in der Claire im Schatten Lauras stand, in einer kursorischen, ziemlich rasanten Rückblende, der es um das Exemplarische im Leben geht und die man deshalb etwas trivial finden kann. Jetzt, bei der Trauerfeier, sagt Claire unter Tränen, dass sie ihrer verstorbenen Freundin versprochen habe, sich um ihren Mann David (Romain Duris) und die kleine Lucie zu kümmern.
Doch deren erste Begegnung, noch ganz im Bann der Trauer, beginnt mit einem Schock: Als Claire unangekündigt das Haus des Witwers betritt, das in einer vornehmen, amerikanisch anmutenden Vorort-Siedlung mit weiten, lichtdurchfluteten Rasenflächen und vielen Bäumen liegt, begegnet sie einem David in Frauenkleidern, der in dieser Rolle fortan Virginia heißen wird. Bald darauf entfaltet Davids Transvestitismus, von ihm zunächst als nachgeholtes Vergnügen gerechtfertigt, eine ungeahnte Komplexität. Denn David alias Virginia schlüpft damit nicht nur in die Mutterrolle und verarbeitet damit die Trauer um den Verlust seiner geliebten Frau, sondern er entdeckt und entfaltet immer stärker und lustbetonter seine eigene, bislang unterdrückte Weiblichkeit.
Aus dieser Befreiung resultieren zunächst einige komische Passagen, etwa wenn die beiden „neuen Freundinnen“ gemeinsam shoppen gehen. Der überaus produktive französische Filmemacher François Ozon, der in seinen tabubrechenden Filmen immer wieder die existentielle Dimension von Geschlechterrollen und komplizierte Identitätsfragen untersucht, geht in diesem beunruhigenden Diskurs aber noch einen Schritt weiter, wenn plötzlich auch Claire die Frau in sich neu entdeckt. Claires intensivierte Weiblichkeit, sowohl ausgedrückt in einer leidenschaftlicheren Sexualität mit ihrem eher gewöhnlichen Mann Gilles (Raphaël Personnaz) als auch im anfangs noch geleugneten, auf ihre „neue Freundin“ Virginia gerichteten Begehren, provoziert nicht nur eine „gleichgeschlechtliche“ Liebesgeschichte der etwas anderen Art und damit schließlich auch das Bild einer neuen Familie; sondern mit dieser Lust tritt sie unterbewusst auch aus dem Schatten ihrer verstorbenen Freundin.
Die Trauerarbeit der beiden Protagonisten erfährt so eine ungeahnte und zugleich verstörende Wendung: Lauras früher Tod katalysiert gewissermaßen die jeweilige „Neugeburt“ von David und Claire als Frau. Ozon verknüpft in seinem irritierend vielschichtigen Film, der lose auf der Kurzgeschichte „The New Girlfriend“ von Ruth Rendell basiert und den er zuerst „Ich bin Frau“ betiteln wollte, melodramatische und märchenhafte Elemente und wechselt dabei immer wieder die Tonlage zwischen komischen und tragischen Passagen. Zur letztlich nicht nur gesellschaftspolitischen Dimension seine Films hat der Regisseur erklärt: „Das Wichtigste ist zu sehen, wie jeder die Andersartigkeit des Anderen akzeptiert und seine eigene Identität findet, jenseits von Geschlechterdefinitionen.“