„Niemand steht über den Gesetzen“, sagt die Anwältin Meaza Ashenafi (Meron Getnet) zu einer Klientin, die von ihrem Mann geschlagen wird. Kurz darauf erfährt die ebenso selbstbewusste wie starke Juristin, die in Addis Abeba eine Frauenrechtsorganisation leitet, von dem Fall der 14-jährigen Hirut (Tizita Hagere). Dieser ereignet sich in einiger Entfernung von der äthiopischen Hauptstadt. Auf dem Heimweg von der Schule zu ihrem Dorf wird das Mädchen von berittenen Männern entführt, in einer Hütte eingesperrt und von demjenigen unter ihnen vergewaltigt, der ihr zukünftiger Ehemann werden will. Was unter der Landbevölkerung des ostafrikanischen Staates gängiger Brauch ist und als „Telefa“ bezeichnet wird. Als Hirut am nächsten Morgen in einem günstigen Augenblick fliehen kann und dabei in Notwehr ihren Peiniger mit dessen Gewehr erschießt, wird sie des Mordes angeklagt.
Dieser aufsehenerregende Fall, der sich 1996 tatsächlich ereignet hat und später zu einer Gesetzesreform führte, diente dem äthiopischen Regisseur Zeresenay Berhane Mehari als Vorlage für sein spannendes Justizdrama „Das Mädchen Hirut“ (OT: „Difret“, d. h. sowohl „mutig sein“ als auch „vergewaltigt werden“). Darin stehen sich eine zutiefst patriarchalische, von uralten Traditionen geregelte Gesellschaftsordnung und das moderne Recht auf weibliche Selbstbestimmung unvereinbar, geradezu unversöhnlich gegenüber. Während die Repräsentanten der alten Ordnung den Standpunkt ihrer männlichen Dominanz durch Berufung auf die überlieferte Sitte sowie durch immer neue bürokratische Hürden scheinbar unumstößlich zementieren, lässt die unerschrockene Anwältin trotzt diverser Rückschläge nichts unversucht, um dem Recht Geltung zu verschaffen. Dabei nutzt sie geschickt ihre Beziehungen zur Presse und in die hohe Politik.
Mehari konzentriert seinen unter schwierigen finanziellen und logistischen Bedingungen realisierten Film auf diesen juristischen Machtkampf, bindet diesen aber zugleich ein in die komplexen sozialen Verhältnisse seines Landes, die von Ungleichheit bestimmt sind. So erschweren Armut, Analphabetismus und kulturelle Unterschiede den Prozess der Verteidigung, der in der Konfrontation mit den Vertretern der Anklage dramatisch zugespitzt wird. Zwar gelingt es dem Regisseur dabei, die thematisierten Konflikte zwischen geltendem und überliefertem Recht glaubhaft zu vermitteln, seine Inszenierung wirkt aber manchmal zu schematisch und in der szenischen Auflösung teils zu unausgereift. Deutlich wird das im Hinblick auf plakative Figurenzeichnungen, auffallend unausgespielte beziehungsweise unentwickelte Szenen sowie holprige Ellipsen. Das ändert jedoch nichts an der Relevanz des Themas, das hier ebenso spannend wie emotional vermittelt wird.