Erinnert sich noch jemand an Heidi Specognas Film „Tupamaros“ von 1996? Damals porträtierte die Filmemacherin einige ehemalige Mitglieder der legendären Stadtguerilla Uruguays, die sich nach dem Ende der Diktatur und nach teilweise Jahrzehnte langen Gefängnisaufenthalten dafür entschieden hatten, ihre Politik in einem Linksbündnis in der Legalität zu realisieren. Einer der Porträtierten war José Alberto Mujica, einst Mitte der 1960er Jahre Gründungsmitglied der Tupamaros und zuständig für den militärischen Bereich der Guerilla, die ja eher für die Strategie der bewaffneten Propaganda bekannt war – und weniger für politische Morde.
Mujica, genannt „El Pepe“, wurde wiederholt verhaftet, gefoltert, saß anschließend 14 Jahre im Gefängnis und wurde erst 1985 amnestiert. Mujica wurde wieder Bauer und Blumenzüchter und lebte mit seiner Lebensgefährtin Lucia Topolansky, die er im politischen Kampf kennengelernt hatte, ein einfaches Leben vor den Toren Montevideos. „Tupamaros“ zeigte: die lange weggesperrte Stadtguerilla kehrte ins Leben und in die nun gewaltlose, linke Politik unter den konkret herrschenden Bedingungen zurück. Insbesondere Mujica zeichnete sich damals schon durch einen gewissen Pragmatismus und eine Reserve gegenüber „Kaffeehaus-Philosophie“ aus. Was seinerzeit trotzdem niemand ahnen konnte: beide – Mujica und Topolansky – machten in den folgenden Jahren eine erstaunliche Karriere. Der Abgeordnete Pepe Mujica wurde 2005 Landwirtschaftsminister seines Landes, 2009 schließlich sogar zum Staatspräsidenten gewählt, dessen Amtszeit verfassungskonform dieser Tage endete.
Zum Staatspräsidenten ernannt wurde er qua Protokoll von Topolansky, die dadurch selbst zur „First Lady“ Uruguays wurde. Doch nichts läge ferner als dieser Titel, um den Habitus des Paares angemessen zu beschreiben. Auch während seiner Amtszeit hat sich Mujica darum bemüht, sein eigenwilliges Verständnis von Politik und persönlicher Integrität und Authentizität zu »leben«, indem er im besten Sinne »unkonventionell« in der Öffentlichkeit auftritt. Dass es in Uruguay einen Staatspräsidenten gibt, der mit einem Bruchteil seiner Bezüge auskommt und 90% seines Einkommens NGOs spendet, der sich betont einfach kleidet und sich politisch für die Legalisierung homosexueller Lebensgemeinschaften und gegen den Drogenhandel für die staatliche Regulierung des Marihuana-Marktes engagiert, schien den Medien eine Kapriole der Geschichte und taugte insbesondere im Ausland für manche Geschichte.
Auf Einladung des Paares – der Kontakt war nach „Tupomaros“ nie abgerissen – reiste Heidi Specogna mit einem kleinen Team an den Rio de la Plata, führte Gespräche und sammelte Impressionen. Mal hält Mujica eine Rundfunkansprache, mal eröffnet er ein neues Housing-Projekt, mal erledigt er auf dem eigenen Hof anstehende Arbeiten mit dem Traktor. Instinktiv findet er in jeder Situation den richtigen Ton, gibt sich gleichermaßen bodenständig wie gebildet, pragmatisch wie visionär. Mujica und Topolansky wissen, dass sie nicht den Sozialismus in Uruguay einführen können, sondern eher an die Solidarität der Menschen appellieren müssen. Aber sie können vielen Menschen ihre Würde zurückgeben, indem sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten deren Lebensumstände verbessern. „Besiegt ist erst, wer nicht mehr kämpft!“, weiß Mujica aus eigener Erfahrung zu berichten.
Man merkt dem Film schnell an, wo die Sympathien der Filmemacherin liegen, die davon erzählen will, wie Idealismus und Bodenständigkeit –„Lektionen eines Erdklumpens“ lautete einmal der Untertitel des Films – eine Glaubwürdigkeit verleiht, die man leicht mit Charisma verwechseln könnte. Mujica ist ein Macher, der es durchaus legitim findet, auch einmal auf seinen Anspruch auf Freizeit zu pochen und nicht ans Telefon zu gehen. Eine schöne Utopie! Es ist dann ausgerechnet Angela Merkel, die auf unmissverständliche Weise dafür sorgt, dass die Träume des Zuschauers nicht ins Kraut schießen. Anlässlich eines Staatsbesuchs Mujicas in Berlin behandelt sie den älteren, immer leicht nachlässig gekleideten Repräsentanten eines für Deutschland bedeutungslosen Landes mit einer ungeduldigen Herablassung, als wäre Mujica eine lästige Stubenfliege, die nur von den wirklich wichtigen Geschäften abhält. Das ist zwar eine schöne Pointe, die glücklicherweise auch dokumentiert wurde – trotzdem hätte man sich gewünscht, dass die Impressionen, die Specogna in Uruguay gesammelt hat, etwas »politischer« im Sinne einer konzentrierteren Befragung des Politikers ausgefallen wären.
Mujica zum unverschämten Verhalten Merkels zu befragen, wäre interessant, aber aus diplomatischen Gründen wohl aussichtslos gewesen. So viel Profi ist Mujica bei allem Understatement dann doch. Aber insgesamt fällt Specognas Film etwas zu privatistisch aus, um wirklich zu überzeugen. Wenn man Interviews wie dieses liest, dann zeigt sich Mujica ungleich reflektierter als in Specognas Film, der dem Präsidenten vielleicht nah ist, aber keinen Zugang zur Person findet. Stattdessen bleibt vieles nur anekdotisch.