Übermütig springen die Kinder und Jugendlichen von einer Mauer ins strahlend blaue Meer, hängen sich waghalsig auf ihren Fahrrädern an fahrende Autos oder tanzen auf der Straße. Lebenslust, Körperlichkeit und Sex, eingefangen in einem unmittelbaren, dokumentarischen Stil, vermitteln etwas von den helleren Seiten der kubanischen Hauptstadt Havanna. In ihrem sinnlich-prallen Debütfilm „Una noche“ zeigt Lucy Mulloy aber auch die Schattenseiten der Wirklichkeit: Armut und heruntergekommene Wohnungen, Schwarzmarktgeschäfte und Tauschhandel, Prostitution und polizeiliche Überwachung. In den Fluchtbewegungen der Protagonisten erscheint Havanna immer wieder als kaputte, labyrinthische Stadtlandschaft voller Verstecke. Doch eine allgemeine Perspektivlosigkeit lastet über allem.
„Es gibt keine Veränderung“, sagt die junge Lila einmal aus dem Off. Dabei ist der Traum von einer anderen, hoffnungsvolleren Welt stets gegenwärtig und manchmal fast real zu greifen. Nachdenklich und melancholisch erzählt das Mädchen von sich und ihrem innig geliebten Zwillingsbruder Elio, der sich von ihr entfernt, als er dem gleichaltrigen Raúl begegnet. Die beiden arbeiten in einer Hotelküche und planen heimlich die Flucht in das nur 90 Meilen entfernte Miami. Während sie alte Autoschläuche, Bretter und einen Motor für ihr primitives Floß organisieren, erzählt Lucy Mulloy auch von familiären Konflikten, von schwierigen Entscheidungen und zarten Liebesbanden.
Nach einigen dramatischen Verwicklungen und Fluchten erscheint die gefährliche Überfahrt zunächst wie ein Endpunkt im Grenzenlosen. Zugleich wirkt die sehr spontane und improvisierte Unternehmung irgendwie unwirklich. Fast ohne Hilfsmittel begeben sich die drei Jugendlichen auf ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang. Dabei ist die Nähe ihrer nackten, schutzlosen Körper auf engstem Raum fast alles, was sie haben gegen die Weite des Meeres, das zugleich Fluch und Versprechen ist.