Die Bilder von Pawel Pawlikowskis neuem Film „Ida“ sind in ein graues, melancholisches Schwarzweiß getaucht. Im Polen zu Beginn der 1960er Jahre sieht es fast so aus, als wäre die Zeit stehen geblieben. Das ärmliche, düstere Leben ist von Fassaden umschlossen, deren Verputz abbröckelt. Räumliche Enge und innere Verstocktheit bestimmen die realistische, sehr genau eingefangene, Atmosphäre einer Gesellschaft, die sich noch unter den ideologischen Nachwehen der stalinistischen Ära duckt. Damit korrespondiert das klassische, fast quadratische Academy-Bildformat, für das die beiden Kameramänner Ryszard Lenczewski und Lukasc Zal immer wieder kunstvolle Einstellungen komponieren, in denen der Raum übermächtig ist und die Figuren an den Rand gedrückt werden.
„Ida“ ist ein leiser, nüchterner Film, der trotzdem eine starke Stimmung entfaltet und der die individuellen Dramen und Lebenskatastrophen fast unausgesprochen lässt oder aber in den Ellipsen zwischen dem Erzählten aufruft. Die Schatten der Vergangenheit, genährt von Traumata und Schuld, sowie die schmerzhaften Geburtswehen einer noch unsicheren Identität dominieren die Figuren. So erfährt die junge Novizin Anna (Agata Trzebuchowska), die seit frühester Kindheit in einem Kloster lebt und sich gerade auf ihr Gelübde vorbereitet, von ihrer einzigen Verwandten, dass sie als Jüdin geboren wurde und eigentlich Ida Lebenstein heißt. Ihre Tante Wanda Gruz (Agata Kulesza), die Schwester ihrer Mutter, ist eine ehemalige Widerstandskämpferin, die in den fünfziger Jahren als kompromisslose Staatsanwältin sogenannte Volksfeinde zum Tode verurteilte und jetzt gelangweilt ihren Dienst als Richterin versieht.
Die Gegensätze zwischen der resoluten, desillusionierten Altkommunistin und dem frommen Mädchen befördern ihre Beziehung, die trotz aller Unterschiede eine intime Nähe besitzt. Während Wanda in einer Mischung aus schläfriger Eleganz und Selbstzerstörungstrieb raucht, trinkt und Männer abschleppt, entdeckt Ida ihre Gefühle zu dem jungen Jazzsaxophonisten Lis (Dawid Ogrodnik). Im Zentrum von Pawlikowskis ebenso beeindruckendem wie notwendigem Film steht aber die Spurensuche der beiden ungleichen Frauen nach ihren Angehörigen, deren Schicksal eine Mauer des Schweigens umschließt. Bald stellt sich heraus, dass diese von polnischen Bauern ermordet und im Wald verscharrt wurden. Die Exhumierung ihrer Gebeine wird für Ida und Wanda zur bewegenden Trauerarbeit. Doch dann stürzt sich die Richterin, als wäre ihre Geschichte damit beendet, aus dem Fenster; und Ida muss sich, musikalisch flankiert von John Coltrane („Naima“) und J. S. Bach („Ich ruf‘ zu Dir, Herr Jesu Christ“) entscheiden, ob sie der Welt („Das Übliche, das Leben“, nennt dies Lis) tatsächlich entsagen möchte.