Seit jeher präsentiert uns Wes Anderson in sich geschlossene Welten, die in Schachteln und Rahmen gedacht sind: Familienhäuser, U-Boote oder Pfadfinderzelte werden da für unsere Augen wie Puppenhäuser geöffnet, um von Dingen zu erzählen, die stets so reizende wie befremdliche (zumindest aber: verfremdende) Distanz zu unserer eigenen Lebenswelt halten (ich frage mich, ob diese ganz spezifische Art des Erzählens bis zu den Kulissen und Special Effects eines Méliès zurückverfolgt werden kann).
In diesem Stil verschachtelt „Grand Budapest Hotel“ den allmählich schwindenden Glamour und die Adelshierarchien im Zentraleuropa der frühen 30er, aber auch Gefängnisanstalten, deren Parzellierung Ähnlichkeiten mit jenen von Hotels annimmt. Die Schachteln sind dabei nicht nur raumbildendes Formprinzip, sondern auch erzählerisches: Die Haupthandlung wird als eine Geschichte in der Geschichte in der Geschichte in der Geschichte erzählt, ist also selbst vielfach eingepackt, und der Spannungsbogen öffnet auf der Suche nach handlungstreibenden Objekten gemäß jenem Prinzip eine Schachtel nach der anderen, gleich den Häftlingen, die auf ihre regelmäßigen Patisserielieferungen warten. Andernfalls, wenn nichts zu öffnen ist, sind es die Rahmen selbst, die mitsamt ihren Inhalten getauscht werden: Causa Prima des zentralen Konflikts ist das Gemälde eines fiktiven flämischen Meisters, das einen Jungen zeigt, dessen Finger einen Apfel derart zärtlich am Stiele umschließen, dass die Haltung an die pikante Darstellung Gabrielle d’Estrées mit einer ihrer Schwestern erinnert (heute im Louvre zu besichtigen).
Dieser „Junge mit Apfel“ wird dem Concierge des „Grand Budapest Hotels“, Monsieur Gustave H. (Ralph Fiennes) von Madame Desgoffe-und-Taxis (Tilda Swinton, fast nicht wiederzuerkennen), die häufig in besagtem Hotel residierte, vermacht, was den sonstigen Erben ein Dorn im Auge ist. Auf Initiative seines „Lobby Boys“ Zéro Moustafa entwendet der Concierge das Gemälde aus dem Schloss Lutz (bzw. vereinnahmt es rechtmäßig) und hängt an dessen Stelle „entartete“ Darstellungen ähnlich zärtlichen Fingereinsatzes. Dies wird zum Auftakt eines Kriminalfalls und der Aufdeckung einer Verschwörung, in die eine internationale Riege an Stars verstrickt ist.
Selbst Klein- und Kleinstrollen sind in diesem Film wieder mit bekannten Gesichtern besetzt, deren unerwartetes Auftauchen mitunter selbst zu Sensationen werden – wessen sich der Film selbstverständlich zu jeder Zeit bewusst ist und zuweilen mit entsprechendem Leerlauf für die von ihm provozierten Lacher reagiert, diese aber auch ganz und gar nicht weniger kunstfertig mit eiliger Montage unterdrückt („…war das da nicht gerade George Cl…?“). Dass die Darsteller oft auch europäischer Herkunft mit Charme und sichtlicher Spielfreude agieren, muss nicht mehr eigens betont werden. Gerade das deutschsprachige Publikum wird sich freuen, Gesichter der „ihrigen“ zu sehen; Karl Markovics wird z.B. in seiner oscarbewährten Häftlingsrolle erneut ins bildhistorische Gedächtnis eingeschrieben.
Die Figurenkonstellation variiert die wiederkehrenden Themen der Anderson-Filme: Konflikte zwischen den Generationen, genealogische Skandale, junge Liebe entgegen institutioneller Widerstände. Nicht von ungefähr erinnern diese auch an die menschlichen Dramen, die Stefan Zweig am Semmering ansiedelt, in dieser niederösterreichischen Gegend verlorener Grand Hotels. Eine der Schachteln und Rahmen, die von Anderson in seine eigene, fiktive alpine Region gestellt werden, ist dann auch der entsprechende Überlebenskampf an Klippen und Hotelfassaden, in dem sich einige der besagten Konstellationen verdichten und welcher hier den vielleicht süßesten Ausgang der Filmgeschichte erfährt.
Wenn erste Fragen zuletzt beantwortet werden und der letzte Deckel auf das zuerst geöffnete Buch wieder aufgesetzt wird, wird der Zuseher wieder mit dem Gefühl einer eigentümlichen Geschlossenheit der Andersonschen Erzählwelten zurückgelassen; eine Geschlossenheit, die sich trotz – oder gerade wegen, das sei dahingestellt – solch eindeutiger Spuren, die eine Republik Zubrowska, ZZ-Runen auf rosa Grund oder den flämischen Maler Johannes Van Hoytl in die europäische Geschichte zurückweisen, einstellt.