Ein mitreißendes Manifest zum Schlagwort Überbevölkerung , österreichisch-charmant vorgetragen von Werner Boote ('The Plastic Planet'). Ein Dokumentarfilm, wie ich ihn niemals sah. Boote selbst ist das, was mit dem Film dokumentiert wird. Seine Reise durch die Welt, von den Bankern der Weltbank bis oben auf dem Dach des überbevölkerten Zuges in Bangladesch. Aufrecht steht er da, kein Angsthase mehr, festgehalten von den anderen Dachreisenden. Und wieder spricht er vom Dach des fahrenden Zuges runter davon, was ihm das Abenteuer bedeutet. In Ichform.
Worum gings? Boote, Forschungsreisender, geht den Spuren der gefürchteten Überbevölkerung nach. Er ändert seine vorgefasste Meinung. Ich glaube nicht an Überbevölkerung, hatte John Lennon vor 42 Jahren in die US-TV-Kamera gesagt, und damals war die Erdbevölkerung nur halb so groß wie heute. Henry Kissinger hatte in den frühen siebziger Jahren die Bevölkerungsreduktion zur Priorität der US-Außenpolitik erhoben. Sorge der USA war, dass mit der wachsenden Zahl der Erdbewohner im Kalten Krieg auch die Zahl der Kommunisten wachsen würde. Dort, in den überbevölkerten Ländern war der Westen aufgerufen, die Zahl der potentiellen Feinde klein zu halten. Boote trifft in Mexiko den Rechtsanwalt, der Mexiko bei den Reduktionsverhandlungen vertrat. Wir erfahren, dass die Schrumpfung bis auf den heutigen Tag vonstatten geht. Pro Frau 2,1 Kinder. Und das nicht mehr unter antikommunistischem Vorzeichen, sondern unter wirtschaftlichem. Jetzt werden für die Frau Kapazitäten frei für den Konsum. Gut für die globale Wirtschaft und das Weltfinanzsystem.
Boote fährt weiter. In Peking macht sich ein Politiker Sorgen wegen der bevorstehenden Überalterung. Wer wird sich um die Alten kümmern? In Tokio das gleiche Problem. Auch in Afrika. In Kenia trifft Boote einen Massai, der ihm ganz plastisch von einem Berg aus vorführt, wie menschenleer das Land ist. Afrika zeichnet sich durch besonders niedrige Bevölkerungsdichte aus. Das Problem ist aber, dass die Deutsche Bank ebenso wie die großen Konzerne den Menschen das Land raubt.
Boote ruft jeden von uns auf, sich gegen Umweltverschmutzung, Ressourcenausbeutung Klimawandel, ungerechte Verteilung und Landraub stark zu machen. Im Film haben Betroffene das Wort: Die UNO muss endlich aufhören, Spielball der materiell reichen Nationen zu sein. Die EU-Staaten sollten sich auf die zunehmend ältere Bevölkerung vorbereiten. Und er selbst erlebt in Bangladesch die Solidarität der Reisenden auf dem Dach des überfüllten Eisenbahnzuges. Er steht. Er wird festgehalten. Er ist in Fahrt, und alle lachen.
Diese Kritik ist zuerst erschienen in: KONKRET 04/2014