Von Frau zu Frau beklagt sich eine Mutter über ihren erwachsenen Sohn. Ihr Verhältnis scheint distanziert und zerrüttet, der Kontakt weitgehend abgebrochen zu sein. Vor allem ärgert sich Cornelia (Luminiţa Gheorghiu) aber darüber, dass Barbu (Bogdan Dumitrache) angeblich von seiner Lebensgefährtin Carmen (Ilinca Goia) dominiert wird. Was die resolute Frau und von besitzergreifender Eifersucht getriebene Mutter darüber weiß, erfährt sie aus zweiter Hand; etwa von der Putzfrau, die für ihre Auskünfte kleine Geschenke erhält. Cornelia ist nämlich nicht nur eine bestimmende Mutter, die mit Liebe und übertriebener Sorge über ihr einziges Kind wacht, sondern sie gehört als wohlhabende Innenarchitektin zur Funktionselite der postkommunistischen rumänischen Gesellschaft. Politiker, Ärzte, Rechtsanwälte und Künstler zählen zu den Gästen ihrer Geburtstagsfeier, die in einem gepflegten, dezent luxuriösen Ambiente stattfindet. Der selbstverständliche Wohlstand des gehobenen Bürgertums sowie die alten Strukturen und Methoden der Macht bilden in diesem Milieu eine unmoralische Allianz. Verbittert zitiert die Mutter ihren Sohn mit den Worten: „Diese Generation muss verschwinden.“
Aufmerksam, sensibel und höchst konzentriert erforscht der rumänische Regisseur Călin Peter Netzer in seinem preisgekrönten Film „Mutter & Sohn“ (Goldener Bär der Berlinale) diese Amalgamierung, die sich als Fortdauer alter Machtstrukturen unter neuen, kapitalistischen Verhältnissen verstehen lässt. Noch immer regieren alte Seilschaften, gehören Bestechung und Korruption zur Tagesordnung und wäscht eine Hand die andere. In vielen, spannungsgeladenen Szenen des Films wird das anschaulich, vor allem aber ist dieses fast schon gewissenlose Taktieren und Paktieren eine Art stillschweigend akzeptierte Währung im zwischenmenschlichen Austausch, der von Misstrauen, Lügen und hässlichen Machtkämpfen bestimmt wird. Offen oder verdeckt, unausgesprochen oder direkt geht es in vielen Gesprächen und diskret inszenierten Details um konsumgeile Geldgier und zynisches Erfolgsstreben.
Als Barbu bei einem Überholmanöver mit überhöhter Geschwindigkeit einen Verkehrsunfall verursacht, bei dem ein 14-jähriger Junge aus einer ärmeren Gesellschaftsschicht stirbt, kämpft die Mutter mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln, um ihren Sohn vor einer Gefängnisstrafe zu bewahren. Dabei wird ein kompliziertes Geflecht aus gesellschaftlichen Hierarchien, sozialen Gegensätzen, Privilegien, aber auch Abhängigkeiten sichtbar. Vor allem aber thematisiert der realistische Film das problematische Verhältnis zwischen einer Mutter, die ihr Kind nicht loslassen kann, und einem Sohn, der sich aus dieser Umklammerung zu befreien versucht, um endlich selbständig zu werden. Dass diese private Ebene auch eine gesellschaftliche meint, deutet Netzer an. Sein kleinteiliger, dichter Erzählstil, der von langen Handkamera-Einstellungen getragen wird und seine starke Spannung genauem Beobachten und Zuhören verdankt, lenkt die Aufmerksamkeit immer wieder auf Details und findet so zu einer enormen Vielschichtigkeit. Diese befördert schließlich nicht nur unangenehme Wahrheiten ans Licht, sondern stellt auch die Frage nach Schuld und Vergebung.