Eine düstere, farblich ausgebleichte Szenerie großstädtischer Beton-Architektur bestimmt den Look von Barnaby Southcombes Neo-Noir-Thriller “I, Anna”. Schwach beleuchtete Tunnel und Unterführungen, nächtliche Diners à la Edward Hopper, mächtige Wolkenkratzer und anonyme Raumfluchten vermitteln ein Gefühl von Einsamkeit und Entfremdung. Vor allem das Barbican Center in London, wo ein Großteil des Films angesiedelt ist, verkörpert mit seinen wuchtigen, abweisenden Proportionen diese Stimmung aus Verlorenheit und existentieller Leere. Verstärkt wird diese dunkle Atmosphäre noch durch die melancholischen Songs von Richard Hawley und die nervös-irritierenden Sounds des französischen Elektronik-Duos K>i<d, durch die sich ein Element des Mysteriösen und Halluzinatorischen in die Bilder mischt. Es sind dies die zunehmend intensiveren Flashs auf Traumata, in denen die weibliche Hauptfigur gefangen ist und durch die sich die Koordinaten von Raum und Zeit verschieben.
Geheimnisvoll, merkwürdig unnahbar und fremd ist die Titelheldin Anna, gespielt von Southcombes berühmter Mutter Charlotte Rampling, von Anfang an. Nach der Trennung von ihrem Mann Simon sucht sie auf Single-Partys nach Anschluss. Dabei nennt sie sich Allegra und trägt ein rotes Kleid. Doch ihr Blick auf dieses Tun ist eher nüchtern und illusionslos. Einmal folgt sie einem Mann in dessen Appartement in besagtem Hochhaus. Später in der Nacht wird dieser erschlagen und blutüberströmt aufgefunden. Bald darauf erscheint Kriminalkommissar Bernie Reid (Gabriel Byrne), der seit der Trennung von seiner Frau an Schlafstörungen leidet, am Tatort. Doch die Spuren, die zunächst ins Verbrecher-Milieu zu führen scheinen, erweisen sich bald als falsch; und auch die Filmerzählung selbst dramatisiert die Ermittlungen dieses Mordfalls nur, um zu tieferen Schichten des Sujets vorzudringen.
Dessen Fokus liegt auf den beiden Protagonisten, ihrer schier unüberwindlichen Einsamkeit, dem langen Moment ihrer wechselseitigen Faszination sowie den parallelen und spiralförmigen Bewegungen, mit denen sie sich einander annähern. Barnaby Southcombe, der für sein Kinodebüt den gleichnamigen Roman von Elsa Lewin adaptiert hat, inszeniert diese Begegnung zweier Seelenverwandter als Trip in die dunklen, verborgenen Areale der menschlichen Psyche, von wo aus das Verdrängte seine eigene Wirklichkeit erschafft. In stimmungsvollen Bildern und Tönen lässt er den Schmerz in der Konfrontation mit der Erinnerung hervorbrechen, ohne ihn ganz auszulöschen. Vielmehr vermittelt „I, Anna“ eine Katharsis ohne Erlösung und eine Einsamkeit, die trotz allem menschliche Nähe und damit die Hoffnung auf einen Neubeginn zulässt.