Allein und auf der Suche nach dem Vater streift ein kleines Mädchen mit tapsenden Schritten durch einen wundersamen Wald. Durch eine üppige, sattgrüne Vegetation aus tropischen Gewächsen, aus Gräsern, Sträuchern und Blattwerk führt der Weg. Die Luft ist feucht, warm und von exotischen Lauten erfüllt, in die sich von fern das Murmeln eines Baches mischt. Eine träumerische Ruhe und zauberhafte Gemächlichkeit evozieren diese ersten Bilder von Edwins Film „Die Nacht der Giraffe“, in denen der indonesische Filmemacher eine paradiesisch anmutende Gegenwelt beschwört. Entspannt und konfliktfrei, in schweifenden Bewegungen und ohne bestimmte Richtung erkundet Edwin diesen verwunschenen Ort, der zugleich Asyl und Heimat ist. Der Ragunan-Zoo von Jakarta strahlt diesbezüglich eine ungewöhnliche Durchlässigkeit und Harmonie aus. Nachts sitzen Obdachlose zusammen am Lagerfeuer; die Tiere erscheinen in ihrer Gefangenschaft besänftigt und relativ „frei“; und das kleine Mädchen findet ein neues Zuhause.
Dann ist Lana (Ladya Cheryl) eine erwachsene junge Frau, die als Pflegerin und Zooführerin arbeitet und in eine große Tier- und Menschenfamilie integriert ist. Immer wieder behaupten wissenschaftliche Inserts über das Verhalten der Arten eine prinzipielle Nähe von Mensch und Tier. Diese strukturieren zugleich die Handlung, indem sie Lanas Entwicklungsgeschichte als eine „éducation sentimentale“ verschlüsseln. An deren Anfang steht Lanas Freundschaft zu der Giraffe Jera und die Sehnsucht nach Berührung. Später wird sie für die Liebe zu einem mysteriösen Cowboy (Nicholas Saputra), einem schweigsamen Zauberer, der mit dem Feuer spielt und allerlei Tricks beherrscht, den Zoo verlassen. Als dieser sich in einer spektakulären Performance sprichwörtlich in Rauch auflöst, folgt auf Lanas „Auswilderung“ die „Umsiedlung“. Dabei landet sie im „Club Planet Spa“, einem Studio für erotische Massagen.
Hier ist es fast wie im Zoo, wenn es um ein entspanntes körperliches Wohlbefinden geht. Lana massiert, pflegt und streichelt fremde Männerkörper und sehnt sich zugleich nach ihrer Giraffe. Einmal schlüpft sie in ein Leopardenkostüm und wird dadurch zu einem erotischen Fetisch, einem verführerischen Tier. „Wenn das Gefühl der Sehnsucht ein Ort wäre, wäre es der Zoo“, sagt Edwin. Verspielt und undramatisch, unter weitgehender Vermeidung äußerer (auch gesellschaftlicher) Konflikte und dabei auf traumwandlerische Weise schwebend spürt er einem Verlorenheitsgefühl nach, das ein existentiell grundsätzliches ist und vielleicht deshalb so merkwürdig unbestimmt bleiben muss: zwischen Dableiben und Weggehen, zwischen Aufbruch und Rückkehr.