Meek’s Cutoff

(USA 2010; Regie: Kelly Reichardt)

Ausweglos im Fremden

“LOST”. Ein junger Mann ritzt das Wort in Großbuchstaben mit seinem Messer in einen abgestorbenen Baum am Wegesrand. Seit mittlerweile fünf Wochen sind die drei Siedlerfamilien mit ihren Planwagen und Ochsen unterwegs auf unbekanntem Terrain und haben zunehmend das Gefühl, verloren zu sein. Das Vertrauen in ihren Führer Stephen Meek (Bruce Greenwood), einen Trapper und großspurigen Aufschneider, ist verbraucht. Zweifel und Ungewissheit, Ratlosigkeit und Angst machen sich unausgesprochen unter den ausgezehrten Reisenden breit. Aus Furcht vor Indianern haben sie die Hauptroute nach Westen, den sogenannten Oregon-Trail, verlassen. Doch „die Karten geben nicht viel her“, wie es einmal heißt, und die Hoffnung schwindet. Nur ein unerschütterliches Gottvertrauen und die Solidarität untereinander halten die Siedler aufrecht.

Das alles weiß man als Zuschauer von Kelly Reichardts außergewöhnlichem Western „Meek’s Cutoff“, der von historischen Figuren und Ereignissen inspiriert wurde (und durchaus auch politische Aktualität besitzt), zunächst nicht. Was uns die US-amerikanische Filmemacherin im langsamen, geduldigen Voranschreiten der unspektakulären Handlung, die die Bewegung des Erzählens mit derjenigen des Trecks (manchmal fast wie in Trance) synchronisiert, vor allem zeigt, sind die Mühen und Strapazen des Alltags. Mit genauem Blick verortet Reichardt ihre Protagonisten in der Weite einer nahezu unberührten Landschaft, registriert sie natürliche Grenzen, die mitunter unüberwindlich sind, und folgt dem Gleichmaß der Tage, deren Zeitfluss auch den Rhythmus des Films bestimmt. Der Konzentration aufs Gehen und auf das Dasein in der körperlichen Arbeit, die zwischen den Geschlechtern genau aufgeteilt ist, gilt dabei ihr besonderes Interesse. Und es ist schließlich ein spezifisch weiblicher Blick, der diesen Western so anders macht und damit das Bild der von diesem Genre erzählten Geschichten nachhaltig verändert.

Neben der ebenso kenntnisreichen wie realistischen Alltagsbeschreibung (verdichtet im nahezu quadratischen Academy-Bildformat, das seine Konzentration aufs Jetzt gegen die genreüblichen Cinemascope-Romantisierungen richtet), der Demaskierung von Meeks abenteuerlichen Heldengeschichten und Kelly Reichardts Weigerung, die nackte Existenz ihrer Figuren irgendwie zu idealisieren oder dem Mythos eines erreichbaren Ziels zu unterwerfen, gilt dies vor allem für die Erfahrung der Differenz in der Begegnung mit dem Fremden. Als die Siedler einen Indianer gefangen nehmen, weicht die Dämonisierung des Wilden immerhin zögerlich der Hoffnung, dass der Eingeborene den rettenden Weg zur nächsten Wasserquelle wissen könnte; doch die sprachliche und kulturelle Distanz, genährt von Vorurteilen, Hass und Angst, bleibt nahezu unüberwindlich. Zwar gelingt es der starken, selbstbewussten Emily Tetherow (Michelle Williams), sich dem Indianer zu nähern, doch kann auch sie den Abstand zu ihm kaum verringern. Der Fremde mit seinen Bedürfnissen und Interessen, seinen Absichten und Hoffnungen ist undurchschaubar. Gerade darin liegt die Radikalität von Reichardts Film: Dass er keine Geschichte der Annäherung, der Integration oder gar gelingender Freundschaft erzählt, sondern das die ungewisse Suchbewegung seiner Figuren in eine beunruhigende Ausweglosigkeit mündet.

[Link zu einer weiteren Filmkritik]

Benotung des Films :

Wolfgang Nierlin
Meek’s Cutoff
(Meek’s Cutoff)
USA 2010 - 104 min.
Regie: Kelly Reichardt - Drehbuch: Jonathan Raymond - Produktion: Elizabeth Cuthrell, Neil Kopp, Anish Savjani, David Urrutia - Bildgestaltung: Chris Blauvelt - Montage: Kelly Reichardt - Musik: Jeff Grace - Verleih: Peripher - FSK: ab 6 Jahre - Besetzung: Michelle Williams, Bruce Greenwood, Will Patton, Zoe Kazan, Paul Dano, Shirley Henderson, Neal Huff, Tommy Nelson, Rod Rondeaux
Kinostart (D): 10.11.2011

DVD-Starttermin (D): 20.09.2013

IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt1518812/
Link zum Verleih: http://www.absolutmedien.de/main.php?view=film&id=1538&list=medien&list_item=2