Roboter, Homunkuli, Androiden. Nicht erst seit dem 20. Jahrhundert fasziniert und gruselt den Menschen das nach seinem Ebenbild hergestellte fremde Wesen. Die Figur des Golem, ein der Legende nach schon im 16. Jahrhundert vom Prager Rabbi Löw aus Lehm geformter künstlicher Mensch, geht sogar zurück auf noch weit ältere Bücher der jüdischen Kaballa.
Paul Wegeners Film „Der Golem, wie er in die Welt kam“ aus dem Jahr 1920 vermischt den jüdischen Mythos mit dem christlichen Faust-Mythos, so ist der Rabbi Kabbalist, aber auch Astrologe und Geisterbeschwörer. Er liest in den Sternen, dass seiner Gemeinde im alten Prager jüdischen Ghetto Unheil durch den Kaiser droht; und deshalb modelliert er zum Schutz vor einem Pogrom den mit übermenschlichen Kräften ausgestatteten riesenhaften Golem (hebr.: unförmige Masse, Klumpen), den er durch die „Implantation“ eines Amuletts (in Form eines Davidsterns), in welchem sich ein magisches Zauberwort verbirgt, zum Leben erweckt.
Dieser Golem, gespielt von Regisseur Wegener selbst, zunächst ein ungelenker, aber unterwürfiger Diener (robota heisst auf tschechisch: „körperliche Fronarbeit leisten“. Der Begriff „Roboter“ ist aus dem Tschechischen herleitbar, der „Golem“ hat sicherlich einen maßgeblichen Anteil daran), entwickelt jedoch immer mehr eigensinnige – also menschliche – Züge. Durch den Duft einer Rose erwacht seine Sinnlichkeit. Er verliebt sich eifersüchtig in die Tochter des Rabbis, sträubt sich dagegen, dass ihm das Amulett abgenommen (also, dass er „abgeschaltet“) wird und wird nach und nach aufgrund seiner „eigensinnigen“ Impulse vom Helfer zur Bedrohung.
Parallelen, Vorbilder und Nachfolger des Golem und seiner Geschichte finden sich überall: angefangen bei der biblischen Schöpfungsgeschichte, nach der Gott den Menschen aus „Erde vom Acker“ machte, über die romantische Literatur des frühen 19. Jahrhunderts, etwa bei E.T.A. Hoffmann oder explizit in Mary Shelleys Gothic-Roman „Frankenstein“, bis hin in die für den Menschen unserer Zeit greifbare Realisierbarkeit von menschenähnlichen Wesen, seien es Roboter, Computer oder schliesslich Klone, Cyborgs, Androiden und was die Zukunft noch so alles für uns bereit hält.
Signifikante Motive der „Romantik der Moderne“, des Expressionismus – und „Der Golem, wie er in die Welt kam“ gilt als der expressionistische Film schlechthin – scheinen zu sein: der hypnotisierte, somnambule, verrückte Mensch („Das Cabinet des Dr. Caligari“), der Maschinenmensch („Metropolis“) oder generell der künstliche Mensch, ein Produkt des Menschen also, das Kind menschlicher Wissenschaften und Technologien, welches nicht beherrschbar ist. Nicht zufällig besitzen das Monster von „Frankenstein“ und „Der Golem, wie er in die Welt kam“ einige Ähnlichkeiten. Wenn der Film „Der Golem, wie er in die Welt kam“ vielleicht u.a. noch durch Mary Shelleys Roman inspiriert war, so hat sich James Whales „Frankenstein“ von 1931 klar, mitunter bis ins Detail, wiederum „Golem,…“ zum Vorbild genommen. Der Golem und Frankensteins Kreatur sind tatsächlich Brüder im Geiste, der eine aus Lehm, der andere aus Leichenteilen zusammengesetzt.
Zwei Haupttendenzen liegen in diesen Stoffen vom Schöpfer und seinem Geschöpf verborgen: einerseits das Verhältnis Mensch zu Gott, andererseits das Verhältnis Mensch als gottgleicher Schöpfer zu dessen Kreation – in meinen Augen auch ausdehnbar auf das Verhältnis Mensch und moderne Technik allgemein.
Es scheint kein Zufall, dass mit der Ausbreitung der Industrialisierung die Romantik in ihrer Reaktion auf eine beginnende diesseitige, rationalistische, maschinisierte Welt sich einerseits eskapistische Gegenwelten erschuf, andererseits durch die Maschinen hervorgerufene unterschwellige Ängste in Figuren wie dem Frankensteinschen Monster manifestierte und zu verarbeiten suchte: Industrialisierung als unberechenbares Kind des Menschen.
Gleichzeitig, wie in einer Art Ablösung – und mit der beginnenden Übertragung der Schöpferrolle -, kam es zu einem Rückzug des Religiösen als schützende, sinnstiftende Kraft. Boris Karloff, die filmische Inkarnation der Romanfigur des Frankensteinschen Monsters, erklärte sich seine Rolle später so: Das Monster habe, wie alle Menschen, keinen Einfluss darauf gehabt, dass und wie es erschaffen wurde, und der eigentliche tragische Aspekt seiner Existenz sei, dass sein Schöpfer sich von ihm distanziert. „Er war für uns ein Bild des Menschen, der bei seinen unvollkommenen Versuchen, sich selbst zu entwickeln, herausfinden muss, dass er von Gott verlassen wurde.“
Gleichwohl findet der Mensch auch in des Monsters Gegenüber einen Spiegel: im Schöpfer, im Wissenschaftler Frankenstein, der Gott ähnlich sein und Leben erschaffen will – oder vielleicht eine zweite Welt neben, statt der Natur, seine eigene Welt der Maschinen? –, was zum einen undurchschaubare, gefährliche Folgen hat, weil es zum anderen Verantwortung und Weitblick voraussetzt.
Als zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Moderne mit ihren technischen Errungenschaften in den reicheren Ländern der Welt explodierte, reagierten deren Künstler darauf mit dem Expressionismus: panisch, verzückt, verwirrt. Das „The End of the World as We know it“ von R.E.M. galt ja eigentlich schon immer, immer etwas anders und in immer kürzeren Intervallen. Verfremdung und Verzerrung der Perspektiven, ja, sogar die Filmsets – das krumme, düstere, schwindelerregende Kulissenghetto im „Golem..“ ist die einzige im expressionistischen Stil für einen Film erbaute kleine Stadt – stehen für eine emotionale Entladung zwischen Angst und Aggression, zwischen dem bewussten, rebellischen Abbrechen alter, altmodischer Brücken, Traditionen, Zeichen und einem fanatischen, fast zwanghaften Drang, eine ganz andere, völlig neue Zeit einzuläuten.
Der Expressionismus im Film zeigt beides, die neugewonnene Freiheit zur Abbildung innerer, psychischer Zustände und eben diese Zustände selbst, bedrängende Phantasmagorien, Alpträume von einer Welt, deren menschliche Gesichter Fratzen, deren Straßen steile Gebirgspfade, deren Behausungen windschief und einsturzgefährdet sind. Im „Golem…“ bröckeln Paläste, brennen Häuser ab. Der Mensch hat seine Welt, und sich selbst, neu geschaffen: Auch darin ist der Golem ein Prototyp. Ein Wesen ohne Werte, Religion oder Normen, ein moderner Mensch. Ein Mann ohne Eigenschaften, ohne repressive oder stabilisierende Sozialisation und daher frei, aber auch unheimlich und einsam, wie ein Kind, das sich – eher durch Unachtsamkeit als durch die große Liebe – selbst in die Welt gesetzt hat.
Gewiss handelt der „Golem…“ von einer lange vergangenen Vergangenheit, eher noch von jüdischen – und deutschen – Legenden. Aber ihn interessieren weniger die Quellen als deren künstlerische Verwertbarkeit in einer Zeit des fremdartigen Aufbruchs, ihrer Wunder und ihrer Schrecknisse. Deshalb sind seine bevorzugten Ausdrucksmittel Subjektivität, Dunkelheit und das Grelle: Auch die 1920 verwendeten Filmeinfärbungen sind rekonstruiert worden. Der Stummfilm „Der Golem..“ war (wie viele andere Filme auch), entgegen landläufiger Meinung, nicht schwarzweiss, er war bunt, und dadurch noch einmal so expressionistisch.
Die Transit Film GmbH hat in Zusammenarbeit mit der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung im März 2004 eine schöne, sorgfältig rekonstruierte – und bunte – Neubearbeitung des Films auf DVD herausgebracht.