Leider fängt das Distinktionsproblem dieses Dokumentarfilms zum Thema Ärzte im Dritten Reich schon mit seinem Titel an, der sich so reißerisch wie ein B-Krankenhaus-Horror-Film gibt. Des Weiteren aber wussten die Regisseure Hannes Karnick und Wolfgang Richter anscheinend nicht so recht zu unterscheiden zwischen den Medien Buch und Film, weil sie Zweiteres benutzen als sei es Ersteres…
Seit Jahrzehnten erforscht der amerikanische Psychiater Robert Jay Lifton die psychischen Konditionen für Individuen in totalitären Gesellschaftssystemen oder ideologischen Zusammenhängen. Er beschäftigte sich mit den psychologischen Lebensbedingungen in der Volksrepublik China, befragte Überlebende der Atombombenabwürfe von Japan oder Vietnamkriegsteilnehmer, um deren mentale Strategien zu erforschen, mit Erlebnissen umzugehen, die über das Normalmaß hinaus belastend sein müssen.
Lifton untersucht gleichermaßen die Folgen für das menschliche Bewusstsein nach Kriegs- oder anderen Extremsituationen wie auch das ideologisch geprägte Denken einer großen Anzahl von Menschen, ohne welches Krieg und Homizid nicht möglich wären.
Zu ihnen zählen bekanntlich auch einige deutsche Ärzte, welche, angeleitet von Leuten wie Dr. Josef Mengele, direkt in Auschwitz einerseits mit zynischen medizinischen Experimenten an wehrlosen Opfern betraut waren, und denen andererseits, und zwar an oberster Stelle – das ist weniger im Bewusstsein der Öffentlichkeit – der Einsatz der Gaskammern, also die aktive Tötung der darin befindlichen Menschen überantwortet war. Vergasung als Ärzteauftrag, dergleichen Erkenntnis ist eine der besonderen, deren dieser Film eines Lobes zu würdigen sei.
Konjunktiv. Deshalb, weil ein Film Film ist und nicht tausend Worte machen kann wie ein Buch – aber Bilder, derer sich „Wenn Ärzte töten“ enthält, da wo es gut gewesen wäre.
Die Kamera verharrt meistens in Liftons spartanischem Studierzimmer und beobachtet den über achtzigjährigen Autor und Miterfinder der psychohistorischen Wissenschaft beim Nachdenken und Nachformulieren dessen, was 23 Jahre zuvor in seinem Buch „The Nazi Doctors“ redigiert und lektoriert und angesichts des Themas in gebotener Gründlichkeit erschienen ist. Mit jedem Satz, mit jedem Gedanken steigert sich der Eindruck, dass das Wesentliche hier nicht unterkommen kann, dass aber auch die gelegentlichen Fragen der beiden Regisseure eher die Kette der Liftonschen Gedanken unterbrechen, als dass sie dem Film helfen, auf einen thematischen Kernpunkt zu kommen: „Wie kommt es, dass Ärzte in kurzer Zeit zu Mördern werden können?“ heißt eine Frage, die direkt nach einer fünfminütigen Ausführung Liftons darüber, dass Ärzte sich prädestinierter als andere dazu fühlen mögen, über Tod und Leben zu entscheiden, weil sie sich seit den Anfängen der Menschheitsgeschichte mit dem Mystischen assoziierten und auch assoziiert wurden, alles Gesagte annulliert und den Autor dazu zwingt, wieder neu anzufangen.
Und immer wenn Lifton etwas von Gewicht sagt, wie z.B.: „Nach dem Krieg hat mir ein Nazi-Arzt erzählt, dass er als Geburtshelfer jetzt Leben zur Welt bringt. Er hat dabei gedacht, dass er vorher Leben beendet hat, aber er hätte es nie gesagt“, dann wird sensibel eine dezente, nachdenkliche Musik über seinen Monolog geblendet, so dass wir auch alle mitbekommen, dass hier etwas ganz Empfindliches und Wichtiges gesagt wurde. Undenkbar wäre solch eine emotionale Lenkung etwa in einem Claude-Lanzmann-Film.
'Wenn Ärzte töten' wird die Leistungen von Robert Lifton sicherlich nicht schmälern, auch wenn der Film kaum Versuche unternimmt, Lifton näher zu kommen als es eine falsche Ehrfurcht nahe legt. Aber so bleibt es bei den Bewunderern, hinter der Kamera, des Denkenden, vor der Kamera, und bei den Pausen mit Musik und mit dem Blick auf die leichte Meeresbrandung, die der Zuschauer erhält, um nachdenklich sein zu dürfen.