Simone Signorets Gesicht ist wie aus Stein, in altersgrauem Leid erstarrt. Vor ihr, auf dem Küchentisch, liegt ein Revolver, und sie wird schießen, dreimal wird eine Detonation die verbrauchte Luft, die klebrige, erstickende Stille um sie herum zerreißen.
Was die ehemalige Tänzerin und Akrobatin Clémence Bouin vor vielen Jahren mit ihrem Mann Julien (Jean Gabin) verbunden haben mag, ist längst erloschen. Geblieben ist wortloser Krieg, sind Enge und Eingeklemmtsein und ein Nicht-Atmen-Können in der vollgestopften Wohnung mit ihren stumpfen Farben, ihrem unfrohen Licht. Man spricht nicht miteinander, man schreit sich an und verkriecht sich gedemütigt wieder ins Schweigen. Auch draußen tobt Krieg: Das alte Stadtviertel, in dem die beiden wohnen, wird abgerissen. Staub und Schlamm überall und schweres Gerät, das Häuser und ganze Straßenzüge zerlegt. Julien, nun ja, er hält sich eine Geliebte, aber das einzige Wesen, das ihn noch mit dem Leben verbindet, ist eine zugelaufene Katze. In ihr sieht Clémence ihre Nebenbuhlerin, ihre abgrundböse Feindin, ihre ärgste Konkurrenz. Lange „passiert“ nichts in diesem Film; es gibt nur das Schlachtfeld des Alltags, doch wenn Clémence und Julien sich zufällig anblicken, scheint es, als warteten sie auf etwas.
„Gut gespielt, doch zu emotional“, so bemäkelte seinerzeit der katholische Filmdienst Pierre Granier-Deferres Drama „Le Chat“ (Die Katze, Frankreich/Italien 1971). In der Tat: in dieser bürgerlichen Hölle taugen die Gefühle nur als Waffen – zu viel, zu emotional für einen Kritiker, der im Dienst der Kirche im Kino sitzt: er musste, 1971, auf Erlösung hoffen und, schon zum Schutz des eigenen Seelenheils, auf Maßeinheiten und Obergrenzen achten.
Clémence nimmt den Revolver in die Hand, blickt ihn an. Wollte man die nun folgende, fünfzig Sekunden lange Montage in ihre kleinsten Einheiten zerlegen, müsste man die aufgestaute Wut beschreiben, den Hass, der jede Bewegung dieser Frau mit Mordentschlossenheit auflädt. Wie sie nach der Waffe greift, ihren Lauf nach oben richtet, sie dann mit beiden Händen packt. Das krampfhafte Zucken um ihren Mund. Bildfüllend, zwei Sekunden lang: der Kopf der Katze, ihre riesigen Pupillen – als wüsste sie, dass sie auf ihre Mörderin blickt. Dann, total gesehen: Die Katze duckt sich neben einen Schrank, huscht aus dem Bild, ins andere Zimmer. Ein Ruck geht durch Clémence‘ Körper, sie folgt ihrem Opfer, der Katzenkopf wendet sich ihr zu, der erste Schuss. Rauch zieht durch das Bild, die Katze entwischt durch einen Türspalt. Der zweite Schuss; wieder die beiden Hände, die den Revolver halten. Clémence hetzt durch die enge Wohnung, man hört den dritten Schuss – und dann steht Julien in der Tür, beide starren entgeistert auf das tote Tier. Ein Tableau wie aus grauem, bröselndem Zement.
Auf der Berlinale 1971 wurde „Le Chat“, der Darsteller wegen, für den Goldenen Bären nominiert, am Ende haben Simone Signoret und Jean Gabin den Silbernen erhalten. Egal – kein noch so edles Metall wird ihrer Leistung gerecht.
Dieser Text ist zuerst erschienen in: ray Filmmagazin.
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