Schwarz-weiße Bilder. Ein Musikvideo. Der Name der Band: Stabil Elite. Der Name des Songs: „Spumante“. Was macht denn Bibiana Beglau in Athen? Offensichtlich ziemlich genervt und zudem noch im schweren dunklen Wollmantel und groß dimensionierter Sonnenbrille unpassend gekleidet und mit falschem Schuhwerk ausgestattet, erklimmt sie die von Touristen okkupierte Baustelle namens Akropolis, während der Sänger der jungen Düsseldorfer Elektro-Pop-Band Stabil Elite sich zu E-Piano-Akkorden, Handclaps und federndem Rhythmus darüber wundert, dass die Diplomaten noch da sind: „Ein Stückchen Inklusion, ein Trinkspruch im Garten.“ Ein bärtiger, untersetzter Mann scheint Beglau zu folgen, während im Refrain des Songs jetzt von einem Gläschen Spumante auf einem Kongress die Rede ist. Gesungen auf italienisch! Während des folgenden Saxophon-Solos (!) blättert die namenlose Frau in einem alten Buch über die Antike und die griechische Mythologie, zwischen Seiten finden sich getrocknete Gräser und Blüten. Als nach zweieinhalb Minuten die Musik plötzlich abgeblendet wird, erhält der Zuschauer die Gelegenheit, Fetzen eines Telefonats zu belauschen: „Na, die hängen überall rum. Auf den Parkbänken, vor allem am Strand, da macht es überhaupt keinen Spaß mehr, lang zu gehen. (…) Natürlich interessiert ihn das nicht. Der macht das, Quatsch!, der macht das, weil sein Vater damals im Auswärtigen Amt ein hohes Tier war. Der hat ihn da irgendwie reingeschubst. (…) Der hasst Brüssel!“ Während die Musik jetzt wieder hochgezogen wird, sieht man Beglau ein Eis essen und dabei mit dem Effekt spielen, dass man bei gehörigen Außentemperaturen jetzt richtig fauchen kann. Wie ein Drache? Der Song „Spumante“ endet mit einer Totale über die Metropole Athen.
Es folgt ein irrwitziges Zwischenspiel ohne Musik. Es ist Abend, die Frau und der Mann, der offenbar als einheimischer Begleiter (oder Leibwächter?) fungiert, sitzen in einem Straßen-Café. Der Mann hat gerade mit dem Ehemann der Frau telefoniert und teilt mit, dass sich der Aufenthalt in Athen um zwei oder drei Tage verlängern wird. Die Frau, rauchend, reagiert ennuiert: „Es ist so sinnlos. Ich habe doch eine Verabredung. Ich will nicht hierbleiben! Das ist bescheuert. Why all the people come here? It makes no sense. Here is nothing.“ Und dann erzählt sie ihrem Begleiter von der alten Sage aus Griechenland, vom Lethetrank, der die Flüchtlinge, die übers Mittelmeer kommen, alles vergessen lässt, weshalb es doch eine gute Idee wäre, wenn die Flüchtlinge nach ihrer Ankunft erst einmal griechische Kultur lernen. Also: Sirtaki. Sie könnten Geld verdienen, wenn sie auf der Straße tanzen. Eine gute Idee: die Sprache lernen und auf der Straße tanzen. Die Frau ist ganz begeistert von ihrem Plan. Da war doch dieser alte Schwarzweiß-Film: „Alexis Sorbas“. „So, that´s your culture!“ Der Begleiter bewahrt die Fassung, verabschiedet sich „for a second“ und begibt sich ins Innere des Cafés, wo offenbar ein Fußballspiel übertragen wird. Die Frau bleibt am Tisch zurück. Rauchend und trinkend, während jetzt erneut Musik einsetzt: Synthesizer und Keyboards. Titel des Songs: „Alles wird gut“. Es beginnt mit einer Autofahrt durch Athen. Schlagzeugeinsatz: „Da waren die Berge, da war das Meer. Da war das Land – und am Ende war es das wert. Was sind schon 1000 Tage für einen Vollzug. Alles wird gut.“ Dazu sieht man die Frau durch die Stadt streifen, kurz eine Katze jagen, am Meer stehen – und schließlich, als die Dunkelheit hereinbricht, auf ihre Idee vom Sirtaki zurückkommen. Dazu wieder ein Saxophon-Solo.
Zwei perfekte Popsongs mit offenkundigen 1980er- und Yacht-Rock-Referenzen. Regie beim Videoclip führte der bekannte Film- und Werbefilm-Regisseur Jan Bonny („Gegenüber“; „Polizeiruf 110 – Der Tod macht Engel aus uns allen“), der mit den Mitgliedern von Stabil Elite über diverse Arbeits- und Bekanntschaftsverhältnisse in der Düsseldorfer Kunstszene verbandelt ist. 2016 gewann Bonny bei den Oberhausener Kurzfilmtagen für sein Musikvideo zu „Boogiemann“ von Olli Schulz den „MuVi-Online-Publikumspreis“. Auch sehr sehenswert.
Die Band Stabil Elite ist bekannt dafür, dass sie mit sehr offenen, bestenfalls andeutenden Texten arbeitet. Als man die Zusammenarbeit mit Bonny begann, wurde über mögliche unterschiedliche Formate diskutiert, auch über ein Performance-Video. Die Idee, das Musikvideo mit Bibiana Beglau in Athen zu drehen, hatte schließlich der Filmemacher. Was im Musikstück nur angedeutet wird, nämlich die Existenz einer Parallelgesellschaft der internationalen Diplomatie und ihrer Familienangehörigen, wird durch das Musikvideo auf recht humorvolle Weise zugespitzt und vereindeutigt. Der mit der Krise verbundene Krisen-Tourismus taucht sonst im öffentlichen Diskurs nicht auf. Der Film, der teurer aussieht als er war, ist also wesentlich deutlicher, unmissverständlicher und auch forciert komischer als das Musikstück, das die Grundlage gewesen ist. 16357 Aufrufe bei YouTube, 90 Likes, 2 Dislikes. Vor nicht allzu langer Zeit veröffentlichten Stabil Elite ein neues Musikvideo zu ihrem Album „Spumante“, wieder mit Bibiana Beglau, wieder unter der Regie von Jan Bonny. „Tief im Westen“ ist eine Mischung aus Electro-Afro-Beats und dem Keyboard-Intro von Stevie Wonders „I just called to say“, also eine ziemlich scharfe Mischung zu den Textzeilen „Dort, wo der Hochmut wohnt, tief im Westen. Ich geb mein letztes Hemd, gib mir dein Bestes!“, was natürlich ironisch Grönemeyer ins intertextuelle Spiel zwingt. Die Bilder dazu sind ungleich geheimnisvoller ausgefallen als beim Vorgänger. Bislang haben 4708 User das YouTube-Video aufgerufen. 33 Likes. Wie verhält sich der Aufwand der Kunst zu ihrer öffentlichen Resonanz? Und wie lange ist das (noch) durchzuhalten?
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Und gleich noch ein Beispiel für interkulturelle Selbstermächtigung. Als der Filmemacher und PETA-Aktivist Eli Roth vor ein paar Jahren mit „The Green Inferno“ dem Trash-Genre des Kannibalen-Films eine zwar gehörig auf den Magen schlagende Hommage verpasste, aber auf den üblichen Tier-Snuff-Porno-Quatsch verzichtete, kam der Film nicht über Leinwände des Fantasy Film Fests hinaus. Wohl wissend um den Reiz, dass die Klassiker des Genres wie „Cannibal Holocaust“ von Komponisten wie Riz Ortolani eine Filmmusik verpasst bekamen, deren süßlich-hypnotische Mischung aus Easy Listening, Exotica und Psychedelia in krassem, aber stets reizvollen Gegensatz zur Drastik der Bilder stand, haben die Stuttgarter Genre- und Musik-Connaisseure Christian Bluthardt (a.k.a. Cristiano Sangueduro) und Ivy Pop (a.k.a. Ivana Cristina Carereccia) unter dem Nome de plume Mondo Sague nun hingebungsvoll und kenntnisreich einen exemplarischen wie essentiellen Soundtrack zum Klassiker „L´Isola dei Dannati“ (1978) gebastelt. Da der Film den Nachteil hat, niemals gedreht worden zu sein, müssen Songtitel wie „In Doccia con Laura“, „Non Siamo Soli“ oder „La Castrazione di Frank“ die Bilder ersetzen. Das Ganze erscheint auf Vinyl mit schöner Cover-Gestaltung (Hallo, Ursula Andress!) und beiliegendem Filmplakat beim einschlägigen Kennerlabel „Allscore“ in Stoccarda.
Stabil Elite: Spumante (Italic Records)
Mondo Sangue: L´Isola dei Dannati (Allscore)