Die Jazz-Giganten Coleman Hawkins, Lester Young und Ben Webster sind 1996 schon seit Jahrzehnten tot, doch wenn Robert Altman im düsteren, sepiabraun wabernden Hey Hey-Club einen „cutting contest“ im Stil der dreißiger Jahre zelebrieren lässt, sind seine Musiker-Darsteller Craig Handy, Joshua Redman und James Carter fast so gut wie sie. Und wenn sie sich bei „Blues in the Dark“ per Tenorsaxophon duellieren, wenn sich Carter mit einem furiosen Solo einmischt, gerät die ganze rauchgeschwängerte kleine Hölle in Wallung. Der Raum, das Licht, die Luft, selbst die Gesichter vibrieren im Rhythmus einer Legende, von der wir Nachgeborenen nur träumen dürfen.
Kansas City anno 1934. Charlie Parker wurde hier geboren; im Film wuselt er als Halbwüchsiger (Albert Burnes) zwischen all den Superstars herum, schon zwanzig Jahre später werden ihn die Drogen umgebracht haben. Kansas City – hier kam auch Robert Altman zur Welt, und „Kansas City“ hat er seinen Film genannt. Subtil und höchst geschmeidig hat er die Jam Sessions mit der anti-chronologisch erzählten Story, der blutigen Geschichte des Gangsterpärchens Johnny und Blondie O’Hara, verwoben – zu einer filmischen „cutting session“ von überbordender Musikalität, als ginge es gar nicht um Blut, Liebe und Tod, sondern allein um: Jazz.
Dabei handelt es sich beim Überlebenskampf der weißen Underdogs Johnny und Blondie (Dermut Mulroney und Jennifer Jason Leigh) gegen schwarze Mafiosi und weiße Oberschicht, wenn auch versteckt, um Klassenkampf – und um einen Agon, dem schon die Rassenkriege kommender Jahrzehnte als Kulturkampf eingeschrieben sind. Als Kulturscharfrichter waltet der farbige Gangsterboss und Chef des Jazzclubs, Seldom Seen (Harry Belafonte) seines Amtes. Johnny O’Hara hat einen seiner Kunden überfallen und beraubt – mit schwarz bemaltem Gesicht, um eine falsche Spur zu legen. Jetzt wird er von Seldom in die Mangel genommen, das heißt: einem höhnischen rassen- und kulturpolitischen Verhör unterzogen.
Im engen Hinterzimmer wandert Seldom wie ein ruheloser Panther um sein Opfer herum. „Du schwingst dich hier rein wie Tarzan, mitten in eine Horde von Niggern.“ Ohne Regung, stumm wie dunkle Schränke ragen die Bandenmitglieder in den Raum, umringen das Tribunal. Seldoms Stimme ist heiser, gefährlich sanft. „Gefallen dir solche Filme?“ Diese „ganze verdrehte Onkel-Tom-Scheiße“, die ihm Hollywood ins Hirn gerammt hat? Aus dem Clubraum drängen leise, doch insistent die Rhythmen der Jam Session herein. „Aber vielleicht hast du für Radiohören mehr übrig?“ All diese Sitcoms und Soaps, die falschen Romanzen mit ihren Lügen, Serien wie „Amos and Andy“: weiße Sprecher, „die sich als Schwarze ausgeben und die Nigger verarschen.“ (White people in blackface: diese unselige Tradition des amerikanischen Entertainments, vor dem Bürgerkrieg waren es die Minstrel Shows, dann kam das Vaudeville, schließlich Radio und Kino.) Schlimm genug, sagt Seldom, dass sich die Weißen „solchen Mist ausdenken.“ Noch schlimmer, dass kleine weiße Gangster diesen Mist nachahmen, um sich als Schwarze zu tarnen. Für den Boss ist klar: Auch dieser mediokre Taschendieb Johnny O’Hara ist nur ein mieser Rassist; überdies hat er einen schlechten Geschmack und muss schon aus medienästhetischen Gründen sterben. „Kommt, Jungs, lasst uns der Musik zuhören.“ Unsterblich allein ist der Jazz von Kansas City.
Dieser Text ist zuerst erschienen in: ray Filmmagazin
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