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Magische Momente 07

Yella
von Klaus Kreimeier

In der Mitte des Films stößt Yella (Nina Hoss) versehentlich ein Weinglas vom Tisch – ausgerechnet in der kritischen Phase einer Konferenz, in der es um Unternehmensstrategien, Planungsziffern und Umsatzkalkulationen geht und die Verhandlungspartner darauf lauern, die Gegenseite bei einer Schwäche zu ertappen oder mit einer Finte zu überrumpeln. Verlegenes Schweigen, irritierte Blicke um sie herum. Ihr Chef (Devid Striesow) hat in diesem Augenblick von seiner Assistentin ein zuvor verabredetes Zeichen erwartet, doch Yella schaut nur mit weit aufgerissenen Augen in die Runde und auf das zerbrochene Glas. Sie sieht, wie der Kelch spielerisch am Boden rotiert, sich in einer kleinen Pfütze spiegelt. Sie hört ein seltsames Rumoren in der Luft, greift sich ans Ohr, die Konturen im Raum verbleichen, das Gerede um sie herum zieht sich in ein dumpfes Murmeln, in eine wattige Ferne zurück, eine Krähe krächzt, Wind fährt durch das Gebüsch vor dem Fenster.

Ein „Hörsturz“, eine Wahrnehmungsstörung, eine sich andeutende Trübung der Sinne genügen, um aus den Bildern alles Gewichtige, Lächerlich-Platte herauszusaugen – all das, was wir behelfsweise Wirklichkeit nennen. In „Yella“ (2007) setzt Christian Petzold diese Mittel nur zweimal ein, platziert sie aber so genau, dass uns der beklemmende Eindruck beschleicht, mit gespannter Aufmerksamkeit durch eine Zwischenzone zu gleiten, die nicht der profanen Normalität des Abbild-Realismus, aber auch keiner Fantasiewelt angehört. Eher gleicht sie einem Traum, aus dem wir nicht aufwachen können. Es ist Yellas Traum von einer anderen, besseren, glücklicheren Welt.

Am Anfang sitzt sie mit ihrem Mann Ben (Hinnerk Schönemann) im Auto, sie fahren über eine Brücke, Ben reißt das Lenkrad nach links, Yella, entsetzt, will eingreifen, aber das Auto kracht gegen das Eisengeländer, durchbricht es und stürzt in den Fluss. Im Gegenschuss ist zu sehen, wie es im Wasser versinkt. Yella erreicht schwimmend, mit letzter Anstrengung, das Ufer und bleibt erschöpft mit geschlossenen Augen liegen. Auch Ben kann sich retten, wirft sich neben Yella in den Sand. Yella schlägt die Augen auf, ein Krähenschrei, ein Windstoß – und was nun beginnt, ist ihre Reise durch eine zweite Wirklichkeit: ihre Flucht vor Ben und vor dem erbärmlichen Leben im maroden Wittenberge in den „Westen“. In eine geisterhafte Welt, zusammengehalten von Beton, Spiegelglas, Hotelzimmern, leeren Korridoren, Firmenparkplätzen und Konferenzräumen, in denen Investmentjongleure und Fondsmanager, Betrüger und Bankrotteure einander belauern: bleiche Epiphanien, Menschen wie aus Magma, erkaltete Schlafwandler der Geldzirkulation.

Am Ende erzählt der Film das, was an der Brücke geschah, noch einmal als „Tatort“-Szene, als Verifizierung durch den Polizeibericht. Am Unglücksort stehen Einsatzwagen und schweres Gerät, ein Kran hievt Bens Auto aus dem Fluss. Ben und Yella sind tot, unsichtbare Hände breiten eine Plane über ihre Leichen. „Man sagt, dass den Sterbenden ihr Leben wie ein Film vor den Augen vorbeiziehe. Auch Yella sieht einen Film. Aber sie sieht nicht ihr gelebtes Leben“, hat Petzold selbst über diesen Tod gesagt. Yella hat das grauenhafte Scheitern ihres Traums gesehen, eine Welt der Untoten, einen Horrorfilm.

Dieser Text ist zuerst erschienen in: ray Filmmagazin

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Foto: © Piffl Medien