2004 widmete die Berlinale dem New Hollywood eine Retrospektive, der dazugehörige Katalog wurde im selben Jahr bei Bertz+Fischer veröffentlicht, gleiches gilt für die Taschenbuchausgabe von Peter Biskinds Anekdotensammlung „Easy Riders, Raging Bulls“, der im Jahr zuvor noch die gleichnamige und nicht minder geschwätzige Dokumentation Kenneth Bowsers vorausging.
Vielleicht mag es mit der derzeitigen Erstarrung der noch im Milleniumjahr sehr experimentierfreudig anmutenden Traumfabrik zusammenhängen, dass der Blick immer wieder auf dieses filmhistorische Phänomen schweifen will. Trotzdem erstaunt, dass sowohl die hiesige als auch internationale Publikationslage zuvorderst dem Autorenbegriff verhaftet bleibt, die Perspektive auf einige herausragende Filmschaffende zentriert oder vereinzelte motivische oder ökonomische Aspekte hervorhebt, um das Neue dieser Hollywoodära entsprechend zu unterfüttern.
Insofern leistet Lard Dammann mit seiner, in der filmwissenschaftlich orientierten Aufblende–Reihe des Schüren Verlags veröffentlichten, Studie eine wahre Pionierarbeit. So stehen nicht nur ästhetische Positionen und Spezifika, das Verhältnis des neuen, eben auch europäisch grundierten Hollywoodkinos der fast schon mystifizierten movie brats zu seinem klassischen Ausläufer, im Fokus seines Interesses, sondern auch die ökonomischen und soziopolitischen Rahmenbedingungen samt ihrer Interdependenzen, die diese kurzzeitige Handlungsfreiheit der Regisseure im Produktionsprozess begleiteten. Folglich setzt die Arbeit mit dem Niedergang des klassischen Studiosystems ein. Die Beharrlichkeit der schwerfälligen Produktionsfirmen strukturell auf die veränderten Sehgewohnheiten eines sich verjüngernden, fragmentierten Publikums nicht zu reagieren, sondern stattdessen weiterhin auf familientaugliche Filme zu setzen, die spätestens mit dem Einzug des Fernsehens an Popularität einbüßten, ist für diesen Niedergang ebenso relevant wie die Entwicklung eines flexiblen Exploitation- und Undergroundkinos, wo der Spielraum zwischen Manierismus und Gesellschaftskritik bereits einige Tendenzen des New Hollywood ankündigte. Immerhin verdienten sich hier einige Protagonisten, von Peter Bogdanovich bis Francis Ford Coppola, ihre ersten Sporen.
Dezidiert geht Dammann all dieses Strängen nach: Von Fragen nach den Besonderheiten der postadoleszenten Gegenkultur in den 60er Jahren und ihrem Ausdruck in Werken wie „The Graduate“ (Die Reifeprüfung) oder „Cool Hand Luke“, ihrer Transformation zur widerständischen Protestkultur unter dem Eindruck des Vietnamkriegs bis hin zur Watergate–Affäre, dem Niederschlag dieser gesellschaftlichen Entwicklungen im zunehmend düsteren Politthriller oder in den zwischen Desillusion und Groteske changierenden Kriegsfilmen „The Deer Hunter“ und „Catch 22“, von der Liberalisierung der (Vor-)Zensur bis hin zur veränderten Darstellung der Paarbeziehungen erschöpft der Autor in einer beeindruckenden Materialdichte so ziemlich jeden Aspekt, um im Schlusskapitel der Frage nachzugehen, ob und inwiefern das New Hollywood für die Gestalt des heutigen postklassischen Blockbusterfilms nachhaltig verantwortlich ist, ob sich neben den seit „Jaws“ und „Star Wars“ unleugbar veränderten Produktions- und Vermarktungsbedingungen auch eine bestimmten Erzähltradition fortsetzt.
Mäkeln kann man bloß wegen minimaler Details: An das oft verweigerte Stichwort- und Personenverzeichnis hat man sich ja beim Verlag bereits gewöhnt. Leider sind aber auch mindestens zwei zitierte Bücher im Literaturverzeichnis nicht zu finden, wie auch so mancher Paraphrase eine genaue Seitenangabe gut getan hätte. Zudem wäre in manchen sozialstrukturellen Beschreibungen eine soziologische Studie vielleicht präziser gewesen als Roger Cormans posthume Einschätzungen. Und ob das „gesamte Genre des Horrorfilms maßgeblich im Mainstream beheimatet (ist): ideologisch, narrativdramaturgisch und filmökonomisch“ (S.237), sei mal mit den Verweisen auf „Texas Chainsaw Massacre“, „Carnival of Souls“ und „Dawn of the Dead“ dezent in Frage gestellt.
Lars Dammann: „Kino im Aufbruch. New Hollywood 1967 – 1976“
Schüren Verlag, 2007, 384 Seiten, 24,90 Euro