Mit großem Bedauern habe ich vernommen, daß der Schweizer Zauberproduzent Erwin C. Dietrich nicht mehr unter uns ist. Es ist mir nicht vergönnt gewesen, ihn leibhaftig in Augenschein nehmen zu können, aber sein Filmwerk ist mir wohlvertraut und prägte meine Vorstellung von unserem sympathischen Nachbarland. Die Schweiz erschien mir im Bannstrahl seiner Filme immer als ein immens swingender, beatiger Urlaubsort von Staat, in dem sich moralisch überaus unbedenkliche Langhaarträger und die dazu passenden Langhaarträgerinnen in einem nicht enden wollenden Sommer der Liebe Verzückungen hingaben, die uns langweilige Deutsche nur neidisch machen konnten.
Genaugenommen machten sie uns bereits seit den frühen 70ern neidisch, als Filme wie „Blutjunge Verführerinnen“ an den Kinokassen abräumten. Natürlich nur an den besonderen Kinokassen, denn wer sich Filme von Bergman, Chabrol und Schamoni anschaute, der stand über den Dingen. Wer sich die Dietrich-Filme anschaute, der stand einfach nur. Ein guter Freund von mir (Name der Redaktion bekannt!) erhielt einen Teil seiner sexuellen Aufklärung übrigens von besagten Verführerinnen, da ihm sein Papa eines Tages eben jenen Film aus der Videothek mitbrachte und auf den Tisch knallte, da er wohl der Meinung war, sein Sohnemann könne jetzt auch mal die Wahrheit vertragen. Und wer braucht Kolle oder Dr. Sommer, wenn er stattdessen Frau Steeger und den ganzen anderen Schönheitsbesitzerinnen zusehen konnte bei ihrer freien Entfaltung?
In seiner ersten Inkarnation als Filmproduzent mit der „Urania“ setzte er auf das Pferd Heimat – Sachen wie „Das Mädchen vom Pfarrhof“ und „Die Hazy Osterwald Story“ (schudder!) boten leichten Frohsinn an sauberer Landluft. Doch das Pferd begann zu lahmen. Sollte man ihm eine Karotte vor die Nüstern halten, um es zum Trab zu bewegen? Das funktioniert ja meistens. Und tatsächlich, die Sache mit den Karotten klappte: Nach einigen Krimis mit hohem Sexgehalt waren es die nackten Tatsachen, mit denen die „Urania“ und später auch die „Ascot“ den Geldbörsen des Publikums zu Leibe rückte. Mit grandiosen Titeln wie „Mädchen, die nach Liebe schreien“ oder „Django Nudo und die lüsternen Mädchen von Porno Hill“ hielt er nicht nur der bundesdeutschen Gesellschaft einen Spiegel vor, der vor Scham beschlug und Zeugnis ablegte von dem blubbernden Sud, der in der Seele des Otto Normalverbrauchers vor sich hin köchelte. Gelegentlich trieb ihn auch die Ambition, etwa in dem Blitzmädel-Melosam „Eine Armee Gretchen“ (Zitat Wikipedia: Filme 1971–76 nannte den hochspekulativen Film „politisch unverantwortlich und zum Teil abstoßend widerlich“.). In der Retrospektive schillert besonders seine Zusammenarbeit mit dem Spanier Jess Franco, die in einem guten Dutzend Filme resultierte, von denen der angesehenste sicherlich die „Jack the Ripper“-Bearbeitung mit Klaus Kinski war. Nach dem kommerziellen Bombenerfolg des von Ascot verliehenen Star-Spektakels „Die Wildgänse kommen“ ließ sich ECD nicht lumpen und produzierte flugs seine eigenen Gänsefilme, darunter „Geheimcode Wildgänse“, „Die Rückkehr der Wildgänse“ und „Kommando Leopard“ (letzterer in Wirklichkeit auch eine Wildgans, die sich aber als Leopard verkleidet hatte!). Mir selber lag natürlich immer sein stark neorealistisch beatmeter Rocker-Alptraum „The Mad Foxes – Feuer auf Räder“ (sic) am Herzen, der ein aufrüttelndes Plädoyer darstellte für vorbildliches Betragen auf Auslandsreisen.
Erwin C. Dietrich hat uns verlassen. Das Vermächtnis dieses wackeren Kämpfers für das wilde Kino funkelt auf Zelluloid. Da er in den letzten Jahren noch einmal fleißig geworden war und sich den neuen Entwicklungen in der Medienbranche nicht versperrte, gibt es viele Blu-rays seiner Werke, für die er zahlreiche Interviews aufnahm, die beredt Zeugnis ablegen von einer Zeit, in der solche Filme möglich waren. Jetzt wohnt er im Pantheon der Exploitation-Helden und lächelt milde auf die Wildgänse herab, die über den Himmel ziehen.