Slow

(LT/ES/SE 2023; Regie: Marija Kavtaradze)

Jenseits der Liebesnormen

Zwei Menschen, die mit ihrem Körper arbeiten, lernen sich in einem gemeinsamen Workshop kennen. Dovyda (Kęstutis Cicėnas) ist Gebärdensprachdolmetscher und soll in einem Tanzkurs für gehörlose Jugendliche die Anweisungen der Tanzlehrerin Elena (Greta Grinevičiūtė) übersetzen. Der große aufmerksame Mann mit dem wachen Blick spricht mit seinen Händen und seiner Mimik, während die Tänzerin mit den Jugendlichen in einen gemeinsamen Rhythmus einschwingt, um Gefühle auszudrücken. Sie wolle ihren Schülerinnen und Schülern ein besseres Körpergefühl und Selbstvertrauen vermitteln, sagt Elena später zu Dovydas. Nach der Arbeit kommen sich die beiden in langen Gesprächen allmählich näher. Zwischen dem offenen, verständnisvollen Dolmetscher, der einen stillen Humor pflegt, und der leidenschaftlichen Tänzerin, die gerne ihre Freiheit genießt, entsteht eine ungewöhnliche Liebesbeziehung.

Davon sind beide überrascht. Denn die nach Unabhängigkeit strebende Elena hat bislang eine konventionelle Paarbeziehung gemieden; und Dovydas, der sich zu ihrer Verwunderung als asexuell identifiziert, stellt Normierungen in Liebesverhältnissen prinzipiell in Frage. Er brauche keinen Sex, was aber nicht bedeute, dass er gar nichts wolle. Elena, die eine starke Vertrautheit zu Dovydas spürt und sich zu ihm hingezogen fühlt, ist irritiert und verunsichert. Sie sagt: „Ich kenne niemanden, der so ist wie du.“ Trotzdem oder gerade deshalb entwickelt sich zwischen den beiden eine tiefe, zärtliche, von großer Aufrichtigkeit getragene Liebesbeziehung, in der jeder die eigene Freiheit sowie diejenige des anderen auslotet und mit den eigenen Bedürfnissen zu verknüpfen versucht. Das bleibt nicht ohne Spannungen, führt aber immer wieder auch zu überraschenden Erfahrungen. Dabei wissen beide zugleich, dass sie sich nicht ändern werden.

Aus behutsamer Nähe und mit sorgsamem Blick für intime Details inszeniert die litauische Regisseurin Marija Kavtaradze in ihrem preisgekrönten Film „Slow“ die schwierige Normalität einer zartfühlenden Liebesbeziehung jenseits der Normen. Sensibel und glaubhaft stellt sie dabei immer wieder die Sprache der Körper ins Zentrum einer Geschichte, die ebenso unspektakulär wie selbstverständlich nach den vielfältigen Formen von Liebe und Sexualität fragt und dabei die gängigen Erwartungen und Rollenmuster unterläuft. Es gebe nicht nur eine Art „richtige Beziehung“, sagt Dovydas einmal und weiß doch auch, wie stark Sex als Praxis der Selbstvergewisserung und als Liebesbeweis wirksam ist. Marija Kavtaradzes realistischer, von einem feinen Humor und stimmungsvollen Popsongs durchzogener Film spiegelt sein Thema außerdem in Nebenfiguren, etwa in Elenas Freundin Victorija, die Nonne geworden ist. Auch wenn die Dauer ihrer außerordentlichen, von ungeahnten Empfindungen getragenen Beziehung vielleicht begrenzt ist, so wird davon, da sind sich die beiden Liebenden sicher, doch „immer etwas bleiben.“

Slow
Litauen/Spanien/Schweden 2023 - 108 min.
Regie: Marija Kavtaradze - Drehbuch: Marija Kavtaradze - Produktion: Marija Kavtaradze - Bildgestaltung: Laurynas Bareisa - Montage: Silvija Vilkaite - Musik: Irya Gmeyner, Martin Hederos - Verleih: Salzgeber - FSK: ab 12 - Besetzung: Greta Grineviciute, Kestutis Cicenas, Pijus Ganusauskas, Laima Akstinaite, Vaiva Zymante, Mantas Barvicius
Kinostart (D): 21.03.2024

IMDB-Link: https://www.imdb.com/title/tt15289510/
Foto: © Salzgeber