Man hatte damals, im Jahr 1982, damit rechnen können: Die rührselige Geschichte von der Freundschaft eines putzigen kleinen kulleräugigen Jungen mit einem putzigen kleinen kulleräugigen Außerirdischen, der mutterseelenallein auf der Erde gelandet ist, war an den Kinokassen weitaus erfolgreicher als die Geschichte eines Forschungsteams in der Antarktis, dessen Mitglieder eins nach dem anderen durch ein fieses außerirdisches Virus infiziert und in der Folge auf grauenhafte Art verunstaltet und getötet werden. Für das gute Filmmärchen über den süßen Außerirdischen („E.T.“) in einer Heile-Welt-Kleinstadt war der schon damals populäre Regisseur Steven Spielberg verantwortlich. Den bösen Paranoia-Body-Horror-SF-Thriller („The Thing“), der explodierende und ihr Inneres nach außen kehrende Menschenkörper zeigte (sowie ein paar weitere originelle Todesarten) und dabei auch die Geschichte einer von Angst, Feindseligkeit und Misstrauen getriebenen, zum Aussterben verurteilten Menschheit erzählte, hatte der US-Amerikaner John Carpenter gedreht, der Mann, der einige Jahre zuvor mit seinem Low-Budget-Film „Halloween“ das Slasher-Genre erfunden hatte.
Im Wettbewerb zwischen einem Feel-good-Märchen und einem pessimistischen Schocker mit Ekelszenen musste damals, vor über 30 Jahren, das Märchen gewinnen. „The Thing“ war Anfang der Achtziger ein gewaltiger finanzieller Flop. Carpenter wurde danach nie wieder für einen seiner Filme ein großes Budget bewilligt. Heute gilt es als ausgemacht, dass das SF-/Horror-/Gore-Kammerspiel, Carpenter zufolge ein „Film über das Ende der Welt“, seinerzeit von den ignoranten Kritikern in geradezu wahnwitziger Weise unterschätzt wurde, in unserer Gegenwart dagegen wird „The Thing“ als eines der kühnen, wegweisenden Genre-Meisterwerke geschätzt.
Bis heute allerdings gilt Carpenter als Mann der zweiten Garde, als eine Art Meister des zeitgenössischen B-Pictures, als „routinierter Handwerker“ und „Gruselmeister“, der mit seinen Werken vor allem picklige Filmnerds und Freunde einer vermeintlich geschmack- und wertlosen Pulp- und Trivialkultur bedient.
„Ich bin mit Horror- und Science-Fiction-Filmen in den 50er und 60er Jahren groß geworden“, sagte er kürzlich in einem Interview mit der Deutschen Presseagentur. „Bei einigen bin ich vor Angst aus dem Sitz gesprungen, etwa bei ›Die Fliege‹ (The Fly, 1958) oder ›Das Ding aus einer anderen Welt‹ (The Thing from Another World, 1951). Ich habe eine Menge Horrorfilme gesehen, aber auch gerne Western.“
Aus der Westerntradition – man denke an die Filme von Howard Hawks – hat Carpenter auch viele Anregungen erhalten: Die Idee, dass eine Handvoll Versprengte an einem von der Außenwelt abgeschnittenen Ort in eine ausweglose Situation geraten oder von unberechenbaren und grausamen Kräften belagert werden, spielt er beispielsweise in mehreren seiner Filme durch („Assault On Precinct 13“, „Prince Of Darkness“).
Von gelegentlichen Ausflügen in die Martial-Arts-Slapstick-Action-Komödie („Big Trouble In Little China“) und den Science-Fiction-Liebesfilm („Starman“) abgesehen, hat sich Carpenter meist dem Horror- und Thriller-Genre gewidmet. Er drehte einen der Klassiker des modernen Horrorfilms („Halloween“), ein Gothic-Horror-Märchen („The Fog“), urbane Thriller-Kammerspiele („Assault On Precinct 13“) und zukunftspessimistische Science-Fiction-Filme, die von der schwarzen Space-Opera-Parodie („Dark Star“) bis zur kapitalismuskritischen Dystopie („Escape From New York“, „They Live“) reichten. Mit Filmen, die manchmal Schlachtfest, Suspense und klaustrophobische Endzeitvision in einem waren, hat Carpenter im Lauf der Jahrzehnte eine Fangemeinde um sich geschart, die in der Lage ist, seine Filme als das wahrzunehmen, was sie sind: Kunstwerke.
Für die meisten der Filme hat er – anfangs aus Gründen der Kostenersparnis – auch die Titelmelodien und Soundtracks komponiert, zumeist handelte es sich um düster-beklemmende Instrumentalstücke, die aus knatternden Basslinien und minimalistisch-repetitiven, analogen Synthesizer-Beats bestanden und im Grunde klangen „wie der böse Bruder von Disco“ (Rolling Stone). „Das nervöse Pianomotiv“ aus „Halloween“ sei »wahrscheinlich die bekannteste Horrorfilmmelodie überhaupt“, schreibt Die Welt. Es soll angeblich innerhalb von ein bis zwei Stunden entstanden sein.
Zeitgenössische Genre-Regisseure wie Quentin Tarantino und Guillermo del Toro sind bekennende Fans des Horrorregisseurs. Del Toro etwa setzte vor anderthalb Jahren einmal eine umfangreiche Serie von Tweets zu Carpenters Werk ab, die in der schönen Aussage gipfelte: „Carpenter schafft ein Meisterwerk nach dem anderen, und sie werden oft gar nicht zur Kenntnis genommen. Es ist jetzt Zeit für Euch, zur Blu-ray-Kirche zu gehen und zu beten.“
In den besten seiner Filme gibt es keine strahlenden Helden, keine intakte Zivilisation, kein klassisches Happy End. Stattdessen gibt es Jäger und Beute, eine Gesellschaft, die notdürftig aus Resten der untergegangenen zusammengefügt wurde, noch kaputter, falscher, autoritärer strukturiert ist als die alte, zusammengebrochene, und oft ein offenes Filmende, das dem Zuschauer den Schluss nahelegt, dass es um die Welt und den Menschen unserer Gegenwart noch schlechter bestellt ist als zuvor angenommen. Für diese Aufrichtigkeit und dafür, dass er sich einen „feuchten Dreck darum schert („doesn’t give a fuck“), ob wir seine Filme mögen oder nicht“ (Guillermo del Toro), müssen wir John Carpenter, der am gestrigen Dienstag 70 Jahre alt wurde, dankbar sein.
Dieser Text erschien zuerst in: Neues Deutschland