Auf einem stillgelegten Schießplatz der Armee, im Wüstensand zwischen Kakteen und alten Patronenhülsen, wird neben einem skelettierten Schädel ein verrosteter Sheriff-Stern gefunden. Sheriff Sam Deeds (Chris Cooper), der den Fall ermittelt und dabei mit dem Leben und Sterben seines korrupten Amtsvorgängers Charlie Wade (Kris Kristofferson) konfrontiert wird, recherchiert mit einer Mischung aus Nähe und Distanz: Als Rückkehrer, der längere Zeit in der Fremde gelebt hat, betrachtet er alles Vertraute abgerückt und gelassen; als Sohn des Hauptverdächtigen Buddy Deeds (Matthew McConaughey), der ebenfalls Sheriff war, wird aus dem öffentlichen auch ein privater Fall, eine Reise in die eigene Vergangenheit und in diejenige der Grenzstadt Frontera. Denn mit dem „Lone Star“ verbindet sich nicht nur der Mythos vom einsamen Westerner, sondern auch derjenige des „Lone Star State“ Texas, der zurückgeht auf die Ein-Stern-Flagge, die von englischen Siedlern im Jahre 1836 nach der Schlacht am Alamo gehisst wurde. Und so ist Frontera, wo selbst die Biermarke „Lone Star“ heißt, ein Synonym für das schwierige Zusammenleben in einem melting-pot, der die Lebenswelten der Angloamerikaner, der Mexikaner und Afroamerikaner umfasst und der stets von Intrigen und Machtkämpfen bedroht ist.
John Sayles, Schriftsteller, Filmemacher und einer der hellsten Sterne am Himmel des amerikanischen Independent-Kinos, erzählt in „Lone Star“ seine Geschichte im Plural. So entsteht ein höchst komplexes Geflecht aus Geschichten, die allesamt geschichtsträchtig sind, sich in der Vergangenheit berühren, zusammenhängen und überraschende Verbindungslinien in der Gegenwart knüpfen. Sayles, der seine Filme nicht nur schreibt und inszeniert, sondern auch selbst schneidet, entwirft diese Verschlingungen eines höchst vielschichtigen und differenzierten Mikrokosmos mit Hilfe einer verschachtelten Montage und mit einer Rückblendetechnik, die die gleitenden, fast unmerklichen Übergänge zwischen Gegenwart und Vergangenheit, das prinzipielle Aufgehoben-Sein des einen im andern betont. So wird der Prozess des Erzählens zum Abbild einer Entdeckungsreise, die den Wahrheitssucher mit Legendenbildung, Geschichtsklitterung und eigenen schmerzlichen Erinnerungen konfrontiert, und dabei das Disparate, Verstreute und Undeutliche ordnet. Indem Sayles Geschichten erzählt, wird Geschichte bei ihm zu einer fassbaren Größe. Und weil ihn das wirkliche Leben und die wirklichen Menschen interessieren, aber zugleich auch die von ihnen hervorgebrachten Legenden, wählt er das Breitwandformat des Westerns für eine beständige Gratwanderung zwischen Realismus und Genre und für das stets ambivalente Verhältnis von Erinnern und Vergessen. Denn Sayles‘ Figuren geht es nicht nur um Bewältigung, sondern auch um Neuanfang. Entsprechend lautet der Rat eines indianischen Trödelhändlers: „Beim Stöbern muss man vorsichtig sein. Man weiß nie, was man findet.“