In einem blauen Kleid sitzt die 16-jährige Suzanne Simonin (Pauline Étienne) am Spinett und unterhält die feine Gesellschaft. Der Verehrer, den das schöne Mädchen mit ihrem Spiel bezaubert, ist allerdings für eine ihrer Schwestern bestimmt. Weil sie keine nennenswerte Mitgift zu erwarten hat, schickt man Suzanne ins Kloster. Anders als in Denis Diderots Ende des 18. Jahrhunderts erschienenem Roman „La religieuse“ transportiert dieser schnell vollzogene Schritt in Guillaume Nicloux‘ neuer filmischer Adaption des berühmten Stoffes -eine andere, seinerzeit ein mehrjähriges Aufführungsverbot nach sich ziehende Interpretation, realisierte Jacques Rivette 1965 – noch keine dunklen Vorahnungen oder gar eine unausweichliche Perspektivlosigkeit. Die Farbe Blau setzt sich in ihrer Ordenstracht fort und in ihrem aus dem Off zitierten schriftlichen Bericht bekennt sie, Jesus Christus zu lieben und am Klosterleben Gefallen zu finden. Trotzdem strebt die selbstbewusste junge Frau kein gottgeweihtes, der Welt entsagendes Leben an. Zu dem fühlt sie sich nicht berufen. Als Suzanne nach ihrem Noviziat das Gelübde verweigert, kommt es zum Eklat.
„Deine Geburt ist meine einzige Sünde“, bekommt sie daraufhin von ihrer Mutter (Martina Gedeck) zu hören, die damit einen Fehltritt bekennt. Denn Suzanne ist die uneheliche Tochter eines reichen Barons (Lou Castel), für dessen väterliche Zuneigung Nicloux eine Rahmenhandlung erfindet. Doch bevor sich diese Perspektive auf eine mögliche hellere Zukunft öffnet, schickt der französische Regisseur und Romancier die Protagonistin in dunkelste Isolationshaft. „Jeder denkt nur an sich in dieser Welt“, bekommt sie von ihrem Beichtvater zu hören, bevor sie ins Kloster zurückkehrt und ein Gelübde ablegt, an das sie sich später nicht erinnern kann. Konzentriert und ohne Abschweifung inszeniert Guillaume Nicloux diese unschuldige Gefangenschaft und findet zusammen mit seinem Kameramann Yves Cape Bilder, denen die Ausweglosigkeit eingeschrieben ist. An Originalschauplätzen in Bronnbach und Maulbronn gedreht, besitzt der Film darüber hinaus einen historisch authentischen Resonanzraum.
Kalte Gänge in fahlem Licht, vergitterte Zellen und immer dunklere Verliese visualisieren Suzannes Leidensgeschichte, die Pauline Étienne auf beeindruckende Weise in eine facettenreiche Darstellung zwischen Resignation und Verzweiflung, Widerstand und Rebellion übersetzt. „In der Welt mag sich die Freude am Quälen, am Peinigen erschöpfen; in den Klöstern währt sie ewig“, heißt es bei Diderot an einer bezeichnenden Stelle. Dagegen und damit auch gegen die fortgesetzten Strafen, die von der ebenso schönen wie grausamen Schwester Christine (Louise Bourgoin) verhängt werden, lässt Nicloux seine moderne kämpferische Heldin aufbegehren: „Mein Leib ist hier, aber mein Herz keineswegs. Es ist draußen.“ Um schließlich mit lauter, sich überschlagender Stimme zu rufen: „Ich will hier raus!“. Suzannes langer Weg in die Freiheit, dem Nicloux eine vielleicht dann doch zu optimistische zeitgenössische Vorbildfunktion andichtet („Die Welt erwartet dich, Suzanne. Sie braucht Menschen wie dich.“), ist hier allerdings noch nicht zu Ende. Eine Versetzung ins Kloster Saint-Eutrope, wo sie dem lüsternen Begehren und den eifersüchtigen Nachstellungen der Oberin (Isabelle Huppert) ausgesetzt ist, fügt den körperlichen eine neue Dimension seelischer Qualen hinzu. Dabei wechselt die Farbe der Ordenskleidung von einem hellen Blau in ein dunkles Rot.