Gatsby also. Hätte F. Scott Fitzgerald ihn sich nicht schon vor neunzig Jahren ausgedacht, man müsste ihn erfinden. So gut passt er in unsere Zeit – erst recht in dem Format, in dem Baz Luhrmann ihn jetzt imaginiert: als dekadentes Blockbusterkino, das sich hartnäckig zu behaupten versucht zwischen effektstrotzenden Superhelden-Franchises und aufwendigem, leblosem Arthouse-Kitsch wie „Life of Pi“. Wer schon immer die Zeitlosigkeit von Fitzgeralds Gesellschaftsatire bewundert hat, darf sich wundern, warum sich Luhrmann mit dem Stoff so schwer tut. Die Themen liefern ja bereits die perfekte Vorlage, einen Steilpass geradezu: die Aufbruchsstimmung, der Exzess, der Größenwahn, die Melancholie – das böse Erwachen. Der große Gatsby, der amerikanische Traum: Nie klang er so zynisch wie heute.
Luhrmann, der Spezialist für den schönen Schein und täuschend echt emulierte Gefühle, hat natürlich keine originalgetreue Adaption im Sinn gehabt, als er „Der große Gatsby“ für die Leinwand adaptierte. Luhrmann ist Stilist, aber kein Feingeist wie Fitzgerald. Er schafft Synthesen. Synergieeffekte sagt man dazu in der Wirtschaft. Filmproduktionen im 100 Millionen plus-Bereich haben mit Kino im herkömmlichen Sinn ohnehin nur noch wenig gemein. Luhrmann arbeitet also konsequent. „The Great Gatsby“ ist ein Einrichtungsgegenstand in höchster Vollendung, mit voll integrierter Verwertungskette: der Soundtrack von Jay-Z, mit Kanye West, Lana del Ray und The XX (funktioniert leider überhaupt nicht, obwohl Sampling eigentlich eine Stärke des Hip Hop ist), die Ausstattung (Kostüme von Prada und Miu Miu), die visuellen Wunderwelten (die teuer gerenderten Digitalbilder haben einen kalten Glanz, Leo und Carey Mulligan bewegen sich wie Silhouetten vor Computerhintergründen). So ein Spektakel nach ästhetischen Krieterien zu bewerten, ist natürlich lächerlich.
Aber dann trifft der Exzess von „The Great Gatsby“ auch durchaus den Nerv der Zeit: irgendwann im letzten Drittel, als Di Caprio mutterseelenallein am Pool zwischen leeren Champagnerflaschen steht. Da macht sich erstmals Ernüchterung breit. Keine moralische Entrüstung, eher das nachvollziehbare Gefühl, dass der Rausch große Leere produziert. Wie Drogen. Oder das Spiel an den Märkten des Casinokapitalismus. Vielleicht will man auch um jeden Preis noch etwas Gutes in dieses Machwerk hineinlesen. Aber der Kater im letzten Drittel von Luhrmanns Film – die Leere, die kein Ausstatter, kein Champagner-Pop, kein Hollywoodstar nach dem wahnsinnigen Exzess der ersten halben Stunde mehr füllen kann, ist auf eine perverse Weise berührend. So etwa muss es sich anfühlen, wenn die fette Party endgültig vorbei ist.
Dieser Text ist zuerst erschienen in: Konkret 6/2013