Das Terrorfahndungsdrama ‚Boston‘ über das Nagelbombenattentat auf den dortigen Marathonlauf 2013 und die tagelange blutige Flucht der zu weiteren Anschlägen entschlossenen Täter enthält ein Juwel von einer Actionszene. Der Shootout zwischen lokalen Polizeikräften und einem djihadistischen Brüderpaar (Amis mit tschetschenischer Herkunft), nachts zwischen Reihenhäusern, ist nicht zuletzt deshalb von solcher Wucht, weil Choreografie, Sound, Licht und Schnitt hier so trocken gesetzt sind.
So lapidar und billig, dass es spektakulär und hochkarätig wirkt: Das setzt komplexe Gestaltungsoperationen voraus, lässt sich aber doch mit dem Label ‚Dokudrama‘ ganz gut erfassen. Das gilt für den gesamten Film: ‚Boston‘ stellt Alltagsmenschen in ihren Räumen, Reden und Schicksalen aus, mit Freude an Dialekt und Schimpftiraden im Dialog, mit Fotos und Factsheets zu den in der Wirklichkeit Beteiligten, zumal Opfern, im Abspann. Aus dem parallel montierten Ensembleplot der Allerweltsgesichter (a touch of 1970er Katastrophenfilm) sticht die Psychodynamik zwischen den Attentäter-Brüdern hervor, insbesondere der Narzissmus des lockenköpfigen Jüngeren, der vom doktrinären Älteren herumgebosselt wird, sich dem Dialog zufolge hauptsächlich für fette Autos und deren technische Features interessiert (und heute in der Todeszelle sitzt; der Ältere starb beim Shootout). Weiter treten markant hervor: Mark Wahlberg als etwas sehr auf Immer-Dabei forcierter Cop-Hero sowie Kevin Bacon. John Goodman (scheußlich schlank) und J.K. Simmons als ruppige Ermittler. Die Medienarbeit des FBI, die unter Zeitdruck abläuft, ist im Film in ihren diversen Facetten betont: vom Polizeifunk und der Öffentlichkeitsarbeit (nicht zuletzt im Wettlauf mit publikationsgierigen TV-Sendern) bis zur peniblen Auswertung von Überwachungskamera-Blickwinkeln, die teils in einer paratheatralen Tatortgrundrissrekonstruktion, teils als einmontiertes Originalmaterial – zumindest soll es so wahrgenommen werden – ins Spiel kommen.
Abgesehen von diesem Procedural-Krimi-Element dreht Regisseur Peter Berg mit ‚Boston‘ nun zum schon dritten Mal denselben (allerdings packenden) Film. Auch das Afghanistankriegs-Kommando-Geböller und die Ölbohrinsel-Katastrophen-Action in ‚Lone Survivor‘ bzw. unlängst in ‚Deepwater Horizon‘ boten ‚American Carnage‘ (O-Ton D.J. Trump), sprich: jeweils eine True Story mit Zusteuern auf ein zur News-Folklore gehörendes, unvermeidliches Desaster, jeweils in einem Männermilieu, das seine Techniken und deren Jargons zur Schau stellt und zunehmend dezimiert wird – allen voran ein lädierter Wahlberg (diesmal hat er nur böses Knieweh, dafür kehrt einer der berühmtesten Söhne Bostons nun heim). Hackler in Uniform bzw. Prolos unter Waffen in Gefahr (der Unterschied zwischen mit Feuer und Stahl hantierenden Ölbohrern und einer Navy-SEALS-Truppe ist nicht allzu groß) – zunehmend mit Auftritten tougher Frauen, bis hin zur kalten Verhörszene zwischen der konvertierten Attentäter-Witwe und einer Sonderermittlerin mit Schleier und, humoriger, der Anekdote mit einer Melissa McCarthy-artigen No-Nonsense-Polizistin im Showdown. Nicht-hellhäutige Figuren werden gönnerhaft einbezogen, sofern sie nicht Mörder sind – was sie bei Berg aber meistens sind –, oder aber in fifty shades of Demut agieren wie einst afghanische Dorfleute, dem siechen SEAL hilfreich zu Diensten, und nun in ‚Boston‘ der von den Flüchtenden gekidnapte, verhaltensunsichere chinesische SUV-Fahrer. Zum Gaudium der Autochthonen darf er ein assimilationswilliges ‚Go catch those motherfuckers!‘ knödeln. (Insofern war ‚Deepwater Horizon‘ etwas anders, weil die Konfliktsituation in Ermangelung eines bewaffneten ethnisierten Feindes in Richtung einer Karikatur von proletarischem Klassenkampf gravitierte, mit John Malkovich als Feindbild-Figur eines identitaristischen Anti-Eliten-Ressentiments – süffisant über Jahrgangswein parlierender, abehobener Manager-Ungustl – und mit sowohl Frauen als auch African Americans relativ beiläufig unter den ‚Handarbeitern im Feuer vor Ort‘ als Erfahrungsträger.)
Im Kino-Kontext gesehen ist ‚Boston‘ eine Art Captain Philips‚ mit mehr Krach (und mit Uniformträgern ohne einen Hauch von Ambivalenz) bzw. Zero Dark Thirty‚ minus Obsession und deren Analyse. (Michael Manns Heat-Shootout und spätere Farbenspiele lassen zwischen den Reihenhäusern von Boston ebenfalls grüßen.) Im erweiterten Medienkontext, also in Hinblick darauf, was Leute verbindet, was ein Kollektiv im vollen Wortsinn bildet, bietet die Marke Berg, mit ihrer Spezialität Abspann-Weihespiele (rührt immer), ein gediegen modernisiertes rechtspopulistisches Hochleistungspathos. Der Film ist im Original nach dem Feiertag betitelt, an dem der Marathonlauf und das Attentat stattfanden: ‚Patriots Day‘. Die Schlusssequenz, die mit der Rede eines Boston Red Sox-Baseballstars im Stadion beginnt – ‚This is our fucking city! Ain´t nobody gonna dictate our freedom! Stay strong!‘ – und mit einem Porträtfoto von John F. Kennedy endet, steht emblematisch für die ideologischen Vertauschungen, vielmehr: Hijackings, die hier ablaufen: Klar, Kennedy war auch ein Attentatsopfer, aber das ist nicht sein politisches Vermächtnis, auch nicht der rabiate Selbstbehauptungstrotz, der sich hier mit verbogenen Ikonen einstigen bürgerrechtlich-liberalen Aufbruchs ziert. Der Traum eines befugniserweiterungsseligen Innenministers (nennen wir ihn Sobotka, so heißt er in Österreich und grinst): In ‚Boston‘ will gekränkter maskulinistischer Stolz fürs fragile soziale Ganze einstehen, Außenfeind-Abwehr für Binnenvielfalt, Alarmzustand für Solidarität und Lokalpatriotismus für Liebe. – Nein.