Das Buch „Formen der Liebe“, herausgegeben von Ulrich Kriest, widmet sich Rudolf Thomes Filmen.
Im Juni 1979 schreibt Rudolf Thome unter dem starken Eindruck von Renate Samis Videofilm „Geschichten erzählen“ einen Text mit dem Titel „Das ist eine Utopie. Das Kino, von dem ich träume“. Darin entwickelt der Filmemacher und Kritiker eine Poetologie seines eigenen filmischen Schaffens, die sich als Bestandsaufnahme, Selbstvergewisserung und zugleich als programmatische Neuorientierung verstehen lässt. In seinem schwärmerischen Plädoyer für „ein Kino der Unschuld und der Naivität“ träumt Thome von Filmen, die konkret und sinnlich, einfach und subjektiv sind. Das persönlich Erfahrene und die tatsächliche Wirklichkeit, das scheinbar Nebensächliche („das Unwichtige ist das Wichtige“) und das Unfertige sollen sich auf einfache, möglichst ungekünstelte Weise zu einem Kino verbinden, in dessen Mittelpunkt die Schauspieler stehen: „Das einzige, was einen Film schön macht: die Leute vor der Kamera, was die tun, wie die sich bewegen.“
Wiederveröffentlicht findet sich der Text in dem umfangreichen Reader „Formen der Liebe – Die Filme von Rudolf Thome“, den der Filmpublizist Ulrich Kriest anlässlich Thomes 70. Geburtstag (im November 2009) herausgegeben hat. Zahlreiche Filmkritiker, Weggefährten und Mitarbeiter des Regisseurs entwickeln darin in Aufsätzen und ausführlichen Interviews ein facettenreiches Bild von dessen Leben und Werk, das „eigensinnig aus dem Abseits heraus produziert“ (Kriest) mittlerweile 27 Spielfilme und 6 Kurzfilme umfasst. Dabei wechseln sich historische Beiträge mit aktuellen ab und ermöglichen so immer wieder einen Abgleich von „zeitlicher“ Fern- und Nahsicht.
Einen ebenso persönlichen wie aufschlussreichen Einblick in seine geradezu abenteuerliche Arbeitsweise liefert Thome selbst mit dem biographischen Abriss „Überleben in den Niederlagen“, der Anfang 1980 in den ersten beiden Ausgaben der Zeitschrift „Filme“ publiziert wurde. Mit feiner Ironie – im Übrigen auch ein Wesensmerkmal seiner Filme – schildert Thome seine Anfänge in München mit u. a. „Detektive“ und „Rote Sonne“, seinen Umzug und filmkünstlerischen „Neubeginn“ in Berlin, vor allem aber die vielen Komplikationen, Rückschläge und Durchhaltephasen dieser rund achtzehn Jahre umfassenden Zeitspanne.
In diesem Beitrag wird das Jahr 1980 zum Einschnitt und der in jenem Sommer überwiegend in Kreuzberg gedrehte Film „Berlin Chamissoplatz“ zum Kristallisations- und Anknüpfungspunkt. „In meinem innerlichen wie äußerlichen Unglück war das Einzige, was mich in diesem Augenblick noch am Leben reizen konnte, eine Liebesgeschichte“, schreibt Thome über das Projekt, das er schließlich mit den Schauspielern Hanns Zischler und Sabine Bach realisieren kann. Als der Film dann nach seiner von Kontroversen begleiteten Uraufführung bei den Hofer Filmtagen durchfällt, ist es der damalige „Zeit“-Kritiker Hans-Christoph Blumenberg, der mit seinem Aufsatz „Eine Liebe in Deutschland“ nicht nur „Berlin Chamissoplatz“ rehabilitiert, sondern in einem Streifzug durch Thomes Werk dessen wesentlichsten Merkmale aufzeigt. Rudolf Thome, der sein Filmemachen einmal als „ein Abenteuer, eine Forschungsreise ins Unbekannte“ bezeichnet hat, erscheint darin als genau beobachtender Chronist bundesrepublikanischer Zeitläufte respektive Wirklichkeiten und als höchst sensibler Erzähler utopischer Beziehungsgeschichten, in denen sich als „Dialektik der Liebe“ (Thome) wiederum die bundesrepublikanische Wirklichkeit konserviert.
Ulrich Kriest (Hrsg.): Formen der Liebe – Die Filme von Rudolf Thome
Band 8 der Edition „film-dienst“
Schüren Verlag, Marburg 2010, 352 Seiten, zahlr. Abb., 29.90 Euro