Das Motiv des Plots ist geradezu archetypisch: Marcel Prieur (Serge Reggiani), ein etwa 40-jähriger Hoteldirektor, verdächtigt seine schöne Frau Odette (Romy Schneider) des Ehebruchs, gar der Nymphomanie. Während einer langen Nacht erinnert er sich an ihr gemeinsames Leben und häuft auf den schmalen Grat, der die vertraute Geliebte von der betrügerischen Fremden trennt, allerhand Vermutungen und Verdächtigungen. So wachsen aus der Angst die Zweifel; und die obsessive Suche nach Gründen und Beweisen steigert seine krankhaften Visionen zum Wahnsinn der Eifersucht.
Um diese halluzinative Perspektive möglichst wirksam auf den Zuschauer zu übertragen, plant Henri-Georges Clouzot, der Autor des Stoffes und als „the French Hitchcock“ ein Regisseur von hohem Renommee („Lohn der Angst“, 1953; „Die Teuflischen“, 1955), einen ebenso modernen wie revolutionären Film. Während die Alltagsszenen seiner Eifersuchtsgeschichte in Schwarzweiß gedreht werden sollen, wünscht er sich für die Schock-Bilder der Besessenheit rauschhafte Farben und ein ganzes Arsenal von Beleuchtungseffekten. In der ersten Hälfte des Jahres 1964 experimentiert Clouzot, ein profunder Kenner der Gegenwartskunst („Picasso“, 1955), deshalb mit ausgetüftelten Lichtbewegungssystemen, mit Spiegeleffekten, Kristallgegenständen und Prismen; und er lässt sich dafür von der kinetischen Kunst Victor Vasarelys, Joël Steins und Jean-Pierre Yvarrals inspirieren. Die beiden Letztgenannten werden gar zu Mitarbeitern dieses außergewöhnlichen Filmprojekts, dessen Titel unmissverständlich „L’enfer“ (Inferno) lautet.
Für den ehrgeizigen Filmschöpfer Clouzot und seine 25-jährige Hauptdarstellerin Romy Schneider, die gerade bemüht ist, ihr Sissi-Image abzustreifen, soll der Film zu einem Vehikel für einen künstlerischen und zugleich privaten Neuanfang werden. Doch nach der langen, intensiven Probearbeit kommt alles anders: Als Anfang Juli 1964 die Dreharbeiten der mit unbegrenztem Budget ausgestatteten und einer ganzen Armada hochqualifizierter Techniker besetzten Produktion in der Auvergne beginnen, ist der unter Dauerstress und Schlaflosigkeit leidende Clouzot schon ziemlich erschöpft. Dazu kommen ein manischer Perfektionismus und ständige Auseinandersetzungen mit dem Hauptdarsteller Serge Reggiani, die dazu führen, dass dieser an einer Depression erkrankt und die Produktion verlässt. Nach drei Wochen erleidet Clouzot plötzlich einen Herzinfarkt. Die Dreharbeiten werden abgebrochen, „L’enfer“ wird zu einem Dokument filmischen Scheiterns und zum filmhistorischen Mythos, der seither von einigen Geheimnissen und Rätseln umrankt wird. Erst 1994 kann schließlich Claude Chabrol den Stoff mit Emmanuelle Béart und François Cluzet verfilmen.
Was aber ist aus dem von Clouzot abgedrehten Filmmaterial geworden? Antworten darauf gibt Serge Brombergs zusammen mit Ruxandra Medrea realisierter Dokumentarspielfilm „L’enfer d’Henri-Georges Clouzot“ (2009), der die Geschichte dieses gescheiterten Projekts unter Verwendung des bislang unzugänglichen Filmmaterials nacherzählt. Zusammen mit Erinnerungen ehemaliger Mitarbeiter, unter ihnen der „Nouvelle vague“-Kameramann William Lubtchansky und der spätere Regisseur Costa-Gavras, ist dieses nun in fotografischer Form zu bewundern in dem schön gestalteten Buch „Romy – Die unveröffentlichten Bilder aus Inferno/L’enfer“. Diese zeigen eine für die damalige Zeit ungewohnt laszive, experimentierfreudige und vor allem „farbige“ Romy Schneider und nehmen den späteren Image-Wandel des Stars gewissermaßen (nachträglich) vorweg. Ihr Portrait als Schauspielerin muss deshalb nicht revidiert werden. Allerdings schließen Film und Buch eine Lücke, indem sie Einblick gewähren in Clouzots bislang unsichtbares Ideenlabor. Und sie geben Zeugnis von einem verrückten Filmabenteuer und einer bis zum filmischen Größenwahn gesteigerten Besessenheit. Ob man aus diesem Scheitern lernen sollte, „dass man bis ans Ende seines Wahnsinns gehen muss“, wie einer der Zeitzeugen meint, ist aber eher zu bezweifeln.
Serge Bromberg (Hrsg.): „Romy – Die unveröffentlichten Bilder aus Inferno/L’enfer von Henri-Georges Clouzot“
Schirmer/Mosel, München 2010, 160 Seiten, 198 Abbildungen in Farbe und Duotone, 29,80 Euro
Der Film „Die Hölle von Henri-Georges Clouzot“ erscheint am 15. Juli 2010 auf DVD in der Edition Arthaus Premium bei Kinowelt, Leipzig.